Zeitgeist-Zeugen: Warum „Zero Dark Thirty“ beim Oscar nur einen Trostpreis erhalten hat

Populäres Kino ist, wenn es gut gemacht ist, stets ein Seismograph für den Zeitgeist. Mit manchmal erschreckend ausschlagenden Zacken wie „Zero Dark Thirty“ der Amerikanerin Kathryn Bigelow. Dass dieser Film über die Jagd auf Osama Bin Laden keinen der Oscar-Blumentöpfe gewinnen würde, war von vornherein klar: Er ist heiß umstritten, einige Republikaner im US-Kongress verlangten sogar eine Untersuchung.

Das Schockierende an dem Thriller ist aber nicht, dass er (angeblich) geheime politisch Informationen verwendet, sondern dass er kompromisslos die dunkle Seite entfesselter Brutalität unserer Zivilisation zeigt: In „Zero Dark Thirty“ taugt jedes Mittel, um ans Ziel zu kommen. Und der Film verschwendet weder in seinem Plot noch in seinen Personen auch nur einen Gedanken an eine Kritik dieses brutalen Utilitarismus. Erlaubt ist, was nützt.

Dunkelzone der Gesellschaft

Dass Kathryn Bigelow mit diesem erbarmungslosen Blick auf die ethikfreie Dunkelzone unserer moralisierenden Gesellschaften schon in der Vorauswahl nicht landen konnte, hat wohl wenig mit der Qualität ihrer Arbeit zu tun. „Zero Dark Thirty“ hat lediglich einen – wie es ein Magazin heute nennt – „Trostpreis“ erhalten: Paul N.J. Ottosson muss sich einen Oscar für den Tonschnitt  mit Per Hallberg und Karen Baker Landers für „Skyfall“ teilen. Auch die viel gerühmte und bereits mit dem „Golden Globe 2013“ und dem „Broadcast Film Critics Association Award“ ausgezeichnete Hauptdarstellerin Jessica Chastain ging leer aus: Ihr wurde die 22jährige Jennifer Lawrence („Silver Linings“) vorgezogen.

Bigelow hat sich mit ihrem schonungslosen Streifen zwischen alle Stühle gesetzt: Den Linken gilt er als Verherrlichung von Folter, die Rechten witterten gleich Verrat und Beweihräucherung Obamas, nur weil der am TV im Film irgendwelche geänderten Zeiten ankündigt. Das beziehen die CIA-Folterer auf sich und raten sich gegenseitig zur Vorsicht. Ihre Methoden könnten auf einmal political incorrect werden. Doch der Film bringt nichts, was sich nicht aus Medienberichten rund um Guantanamo und Abu Ghreib erschließen und mit ein wenig Fantasie fürs Perverse ergänzen ließe.

Die Szenen sprechen für sich

Aber ist „Zero Dark Thirty“ eine „Verherrlichung“ der Folter? Muss ein menschlich zutiefst abschreckendes Verhalten in einem Film noch durch beschwichtigende oder kritische Kommentare bewertet werden, um in eine moralisch einwandfreie Position eingeordnet zu werden? Das ist zumindest im Falle von Bigelows Film nicht nötig. Die Szenen sprechen für sich: Wenn dem hilflos an Kabeln hängenden Häftling Ammar zu Beginn die verschissenen Hosen heruntergerissen werden, damit vor den Augen der Agentin Maya – das ist Jessica Chastain – sein „Gehänge“ bloßliegt, dann spricht diese entwürdigende Szene eine deutliche Sprache, die auch ohne Kommentar abschreckend genug ist.

Brutale Szenen gehören heute zum Filmgeschäft, und in vielen B-Movies wird Ekelhafteres gezeigt als in „Zero Dark Thirty“. Was das Verstörende ist: Bigelow lässt die Täter keine Sekunde an ihrem Handeln zweifeln. Sie gehören nicht einmal so sehr zum Typ der „aufrechten“ Patrioten, die für ihre Nation alles, aber auch alles erledigen würden. Sie sind vielmehr perfekte Angestellte, völlig reibungsfrei funktionierende Rädchen des furchtbaren Getriebes, die sich höchstens mal interne Karrierekämpfe liefern oder bei der erfolgsarmen Fahndung nach Al-Qaida-Tätern ihr Gesicht nicht verlieren wollen.

Das Grauen beschleicht den Zuschauer, wenn er diese Menschen verfolgt: Ihre zwangshafte Fixierung auf den Erfolg, ihr eiskalter Umgang mit ihren Mitmenschen, ihre private und emotionale Verelendung. Wenn Maya endlich Osama erwischt hat und im Flugzeug ganz alleine nach Hause reist, laufen ihr Tränen über das Gesicht. Es sind nicht einmal Tränen, die vom Abfallen der jahrelangen Anspannung zeugen. Maya vergießt sie, weil ihr das einzige und ausschließliche Lebensziel, das sie über Jahre beherrscht hat, nun genommen ist. Eindrücklicher lässt sich die Enthumanisierung dieser Anti-Terror-Roboter nicht einfangen als in dieser simplen Abschluss-Sequenz.

Entlarvung der „erweiterten Verhörmethoden“

Der Film tritt nicht – wie unterstellt – für die „erweiterten Verhörmethoden“ ein, die er zeigt. Sondern er entlarvt ihre ganze Sinnlosigkeit und Inhumanität, indem er sie lapidar und unverbrämt darstellt. Damit tritt er nicht für die Rechtfertigung der Täter oder für das fragwürdige Ethos der Bush-Regierung und ihrer Apologeten ein, wie die Historikerin Karen Greenberg behauptet. „Zero Dark Thirty“ ist eine Studie darüber, wie der totale Kampf gegen den Terror seine Protagonisten entmenschlicht. Und er wirft ein unverbrämt grelles Licht auf die Nischen unserer Gesellschaften, in denen das Abgründige gedeiht und sich mit dem Mäntelchen einer Legitimität umgeben kann, die von den Tätern bürokratisch korrekt verwaltet wird und daher in ihren Augen als gerechtfertigt gilt. Und er stützt damit eine ethische Position, die – trotz aller bekannten Problematik – der Folter Null Toleranz entgegenbringt.

Dass der Oscar-Segen des besten Films stattdessen an „Argo“ ging, spricht eine deutliche Sprache: Ben Affleck mag seinen Thriller fulminant inszeniert haben, die politische Botschaft bleibt im Rahmen: Amerikaner werden vor Islamisten gerettet und eine auch nur indirekte Kritik an herrschenden Konstellationen ist nicht ersichtlich. Auch ein Zeitgeist-Zeugnis.

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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2 Antworten zu Zeitgeist-Zeugen: Warum „Zero Dark Thirty“ beim Oscar nur einen Trostpreis erhalten hat

  1. Michaela sagt:

    Ich fürchte, ich muss ihn mir tatsächlich auch ansehen.

  2. Marcel sagt:

    Vielen Dank für diesen klugen Artikel, der zumindest mir die Scheuklappen von den Augen nehmen konnte und mich dazu brachte, mich dem Film und seiner Thematik zu stellen. Es bleibt ein erschütterter, abstoßender Eindruck: Hier gibt es keine Helden, nicht einmal fühlende Menschen, sondern nur funktionierende Zahnrädchen.

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