Einsatz für die Menschenwürde: Vor 100 Jahren wurde Erzbischof Oscar Romero geboren

Wandbild von Oscar Romero vor der „Casa de la Juventud“, einem Adveniat-Projekt für Jugendliche in einem Vorort von San Salvador. Foto: Pohl/Adveniat

Wandbild von Oscar Romero vor der „Casa de la Juventud“, einem Adveniat-Projekt für Jugendliche in einem Vorort von San Salvador. Foto: Pohl/Adveniat

Der Mann war ein Profi, sein Schuss saß perfekt: Oscar Romero hatte sich gerade am Altar umgewandt, um mit der Bereitung von Brot und Wein für die Heilige Messe zu beginnen, da traf ihn das Geschoss in die Brust. Nur kurze Zeit später erlag Romero am Montag, 24. März 1980, seinen inneren Blutungen. Der Killer entkam unerkannt; bis heute ist niemand in El Salvador wegen dieses Mordes vor Gericht gestellt worden.

Als sicher gilt, dass der Mord von dem Geheimdienstler und Politiker Roberto d’Aubuisson in Auftrag gegeben wurde, der jedoch bis zu seinem Tod 1992 nie angeklagt wurde. Oscar Arnulfo Romero, seit 2015 selig gesprochen, war der Militärdiktatur und den Reichen in El Salvador ein Dorn im Auge, eine ständige Provokation. Schon 1977, in seinem ersten Jahr als Erzbischof von San Salvador, erreichten ihn anonyme Drohbriefe. Romero fürchtete um sein Leben; seinen Einsatz für die Armen, Entrechteten und Gewaltopfer seines Landes aber führte er unbeirrbar weiter. Dabei schlug er sich nicht einfach politisch auf die eine oder andere Seite seines tief zerrissenen Landes. Er versuchte zu versöhnen, auf der Basis der Gerechtigkeit Lösungen zu vermitteln.

Zwei Tage vor seinem Tod noch kritisierte er „die falschen Visionen … die den Menschen zu einem Instrument herabwürdigen, das man ausbeuten kann, oder auch jene Weltsicht der marxistischen Ideologien, die im Menschen nichts weiter als eine Spielfigur in einer Verkettung sehen.“ Was die Militärjunta in El Salvador gegen Romero aufbrachte, war vor allem seine Kritik an der „Nationalen Sicherheit“, mit der Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen gerechtfertigt wurden. Diese Ideologie – so sagte er – mache „aus dem Menschen einen Diener des Staates, so als ob der Staat der Herr und der Mensch der Sklave wäre, während doch im Gegenteil nicht der Mensch für den Staat, sondern der Staat für den Menschen da ist.“ Der Mensch stehe über jeder Organisation. „Das ist die Basis unserer Sicht von der Gesellschaft. Wir haben sie von Christus in seinem Evangelium gelernt.“

Lehre und Praxis bilden untrennbare Einheit

Oscar Romero. Foto: Adveniat/Tutela legal

Oscar Romero. Foto: Adveniat/Tutela legal

Oscar Romero gilt heute als einer der wichtigsten Träger der Befreiungstheologie, nicht zuletzt, weil bei ihm Lehre und Praxis eine untrennbare Einheit bilden. Was er in Schriften und Predigten verkündete, setzte er konsequent in die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit um. Damit machte er sich Feinde auch in seiner eigenen Kirche. Vor allem zwei der Bischöfe in El Salvador griffen Romero öffentlich an, diskreditierten ihn auch auf der Lateinamerikanischen Konferenz der Bischöfe in Puebla, weil er die Verbrechen der salvadorianischen Militärjunta anprangerte. Im Vatikan gab es starke Kreise, die Oscar Romeros Einsatz für die Armen und Unterdrückten missbilligten oder ihn zumindest nicht unterstützten.

Dabei war der vor 100 Jahren, am 15. August 1917, in bescheidenen Familienverhältnissen geborene Romero zunächst alles andere als ein befreiungstheologisch orientierter Priester. Er studierte in San Salvador und an der Gregoriana in Rom Theologie und kehrte 1942 als Pfarrer nach El Salvador zurück. Bald beförderte man den jungen Theologen zum Sekretär der Bischofskonferenz. 1970 ernannte ihn Papst Paul VI. zum Weihbischof von San Salvador. 1974 wurde er Bischof von Santiago de María, 1977 Erzbischof von San Salvador. In dieser Zeit war sein theologisches Denken durch und durch römisch geprägt. Der Befreiungstheologie stand er misstrauisch gegenüber; bei seiner Ernennung zum Erzbischof hielt man ihn für einen Vertreter der konservativen Richtung, der mit der Politik der herrschenden Oligarchen kein Problem haben würde.

Der Geist weht, wo er will

Aber der Lebensweg Romeros zeigt, wie „Bekehrung“ wirkt. Die brutale Gewalt in El Salvador wurde für ihn zum Anstoß, sein Denken und seine politische Haltung zu revidieren: Er sah nicht nur die soziale Not in seinem Land als Herausforderung an. Ein Schlüsselerlebnis war das Massaker durch Sicherheitskräfte im Februar 1977 auf der „Plaza Libertad“ in San Salvador. Sie schossen in die Menge, die gegen Betrug bei den Präsidentschaftswahlen protestierte. Kurz darauf, am 12. März 1977, ließen die Militärs einen von Romeros Freunden, den befreiungstheologisch orientierten Jesuiten Rutilio Grande erschießen.

Romero nahm hinfort an keinen offiziellen Anlässen mehr teil. Konsequent trat er nun für eine Kirche der Armen und Entrechteten ein, verschrieb sich dem Einsatz für die Menschenrechte und begann auch theologisch neu zu denken. Die Erklärungen der lateinamerikanischen Bischöfe aus den Konferenzen von Medellín und Puebla las er nun im Licht der Erfahrungen von Unterdrückung und Gewalt in seinem Land. In einem seiner Hirtenbriefe stellte er ein „erwachendes Selbstverständnis des Volkes als Glaubens- und Lebensgemeinschaft“ fest. Diese Gemeinschaft sei „dazu aufgerufen, ihre eigene Geschichte in einem Prozess der Erlösung zu akzeptieren, der mit ihrer eigenen Befreiung beginnen soll.“

Verbindungen nach Essen

Bei der Seligsprechungsfeier für Erzbischof Romero wird ein überlebensgroßen Bild enthüllt. Foto: Adveniat

Bei der Seligsprechungsfeier für Erzbischof Romero wird ein überlebensgroßen Bild enthüllt. Foto: Adveniat

Nach seinem Tod, der einen Bürgerkrieg mit geschätzt 75.000 Toten auslöste, wurde Oscar Romero bald als Märtyrer im Volk verehrt. Nicht so in Rom: Der 1994 begonnene Seligsprechungsprozess wurde immer wieder verzögert. Das Argument war, der Mord an Romero sei politisch motiviert gewesen, der Erzbischof sei nicht seines Glaubens wegen gestorben. Erst unter Papst Franziskus erfolgte 2015 die lang erhoffte Seligsprechung. Heute ist festzuhalten, dass Oscar Romero gerade wegen seines befreiungstheologischen Begriffs vom Glauben gestorben und damit einer der wegweisenden Märtyrer der Christenheit des ausgehenden 20. Jahrhunderts geworden ist.

Romero war auch mit Essen verbunden. Hier hat er die Geschäftsstelle von Adveniat, des Lateinamerika-Hilfswerks der Katholischen Kirche in Deutschland besucht. Mit Romero als Partner hat Adveniat seit 1970 zwölf Projekte durchgeführt. Auf den Webseiten von Adveniat ist zu erfahren, dass auch am 100. Geburtstag Romeros der Großteil der 6,4 Millionen Menschen in El Salvador in Armut lebt. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist groß: „Der Reichtum der Reichen steht im krassen Gegensatz zur bitteren Armut, die im Land herrscht“, sagt Inés Klissenbauer, Mittelamerika-Referentin bei Adveniat. Es fehle am Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und menschenwürdigem Wohnraum. Die Gewaltsituation sei aber das alles beherrschende Thema im Land. „Deshalb fördert Adveniat in El Salvador gezielt Projekte in der Friedensarbeit, die sich an die Bewohner der Armenviertel richten.“ Seit 1961 hat Adveniat nach eigenen Angaben über 4.000 Projekte in Romeros Heimatland unterstützt. Im Jahr 2016 waren es 40 basis- und armutsorientierte Projekte mit einer Fördersumme von rund einer Million Euro.

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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