„Fantasia“ mit Live-Orchester in Köln: Beethovens Visionen und Disneys Arkadien

Nur noch wenige mediale Ereignisse schaffen es, eine reine, unverstellte, gleichsam kindliche Poesie in unser Leben zurückzuholen. Walt Disneys „Fantasia“ gehört dazu.

Der große Wurf des Altmeisters der filmischen Erfindungsgabe lässt sich heute als DVD oder Blu-Ray bequem aus heimischen Surround-Anlagen genießen. Aber eine Aufführung in großem Raum – und noch dazu mit Live-Orchester – wie jetzt in der Kölner Philharmonie vermittelt den Zauber der bewegten Bilder zur Musik doch noch einmal anders als eine heimische Anlage, die trotz aller technischer Perfektion eben doch „Pantoffelkino“ bleibt.

Die beiden Konzerte in Köln, bestritten von der Neuen Philharmonie Westfalen, waren in ihrer Szenenfolge eine Mischung aus „Fantasia“ von 1940 und der 2000 in die Kinos gekommenen Weiterführung, die Disneys ehemaliger Mitarbeiter Hendel Butoy und ein illustres Regieteam verantworteten. So mussten die Zuschauer etwa auf den legendären „Tanz der Stunden“ zu Amilcare Ponchiellis Ballettmusik aus „La Gioconda“ verzichten. Dafür war „Clair de Lune“ nach Claude Debussys raffinierter Stimmungsmalerei zu sehen. Die Sequenz war als Moment der Ruhe für den ursprünglichen Film gedacht, blieb aber dann außen vor. Erst eine 1996 erfolgte Rekonstruktion machte die Szene zugänglich, die zu den künstlerisch anspruchsvollsten der beiden Fantasia-Filme gehört.

Mickey in Disneys "Fantasia". Bild: bb-promotion

Mickey in Disneys „Fantasia“. Bild: bb-promotion

Dass die Wurzeln des Films zu den „comic strips“ der Zwanziger Jahre zurückreichen, sollte nicht dazu verführen, „Fantasia“ als Kinderfilm oder als lustig-anspruchslosen Zeitvertreib misszuverstehen. Ohne das durchschnittliche Publikum aus den Augen zu verlieren, wollte Disney etwas Begeisterndes, Unterhaltendes, Schönes aus den Mitteln von Musik, Bild und Farbe schaffen. Denn er war überzeugt, dass Wahres, Gutes und Schönes für jeden Menschen, nicht nur für eine elitäre Auswahl, zugänglich sei.

Ein Anspruch, den er auch nicht an das Geschäft verriet: Die Keimzelle des Films, die Szene, in der Mickey Mouse als „Zauberlehrling“ nach Paul Dukas‘ Musik auftritt, hat damals so viel gekostet, dass eine Refinanzierung ausgeschlossen war.

Heute noch lässt die aufwändige Machart der Szenen von 1940 staunen. Die sprühenden und funkelnden Sternchen und Tautropfen, die sich zu Tschaikowskys „Tanz der Zuckerfee“ über Blumen und Spinnweben ergießen, können mühelos mithalten mit den Farbexplosionen, die „Fantasia 2000“ zu Beethovens Klopfmotiv im Beginn der Fünften Symphonie auf die Leinwand wirft. In den winzigen, leuchtenden Feen, die ihre Lichtbahnen durch die Dämmerung ziehen, liegt auch der Zug zum Abstrakten, der in anderen (nicht gezeigten) Teilen – wie Bachs Toccata und Fuge d-Moll – expliziert wird und an der übrigens der deutsche Trickspezialist und Maler Oskar Fischinger entscheidend Anteil hatte. Er gilt als einer der Vorläufer der modernen Videoclips – und auch „Fantasia“ selbst lässt sich so verstehen: als frühe Form der visuellen Umsetzung musikalischer Impressionen. Denn in „Fantasia“ werden die Musikstücke nicht als „Untermalung“ von filmischen Sequenzen oder als klassische Filmmusik eingesetzt, die emotionale Affekte steigern soll. Das Gegenteil ist der Fall: Die Bildwelt der Szenen ist inspiriert und dominiert von der Musik.

Magie und Poesie: Das sind stets sehr subjektiv zu empfindende Zustände, und was dem einen kitschig oder banal vorkommt, kann beim anderen an tiefe Gefühle rühren. Als künstlerische Kriterien sind diese Begriffe eher mit Vorsicht zu genießen. Die niedlichen kleinen Zentauren, Einhorn-Jungen und Genien in der Filmfolge zu Beethovens Sechster Symphonie mögen also als kindlich, naiv oder unangemessen empfunden werden – selbst wenn man die perfekte Choreografie der Szenen würdigt. Aber: Ist vielleicht ihre bezaubernd naive Anmut, ihr jeder Realität entzogenes heiteres Spiel nicht doch eine Annäherung an jenes Beethoven’sche Arkadien, in dem die Landleute unbeschwert sind und der Sturm nicht wirklich bedrohlich? Und in dem die „frohen und dankbaren Gefühle“ eine visionäre Kraft habe, die in einem „realistischen“ Bild unweigerlich in den Kitsch abgleiten würde? Disneys Zeichner dagegen entwerfen eine Welt, die in ihrer Comic-Herkunft eine ganz sanfte, leise Ironie mitbringt, doch in ihrer reinen Imagination bezaubernd unerreichbar bleibt.

Unter dem Filmmusik-Spezialisten Scott Lawton – er ist Chefdirigent des Deutschen Filmorchesters Babelsberg und arbeitet seit 2005 mit dem Landespolizeiorchester Nordrhein-Westfalen – blieben die Musiker der Neuen Philharmonie Westfalen stets am visuellen Geschehen „dran“. Tempo und Rhythmus werden von den Bildern festgelegt und vom Orchester so gut wie durchgehend punktgenau platziert. Der Klang war kompakt, aber konturenreich und farbig. Die Musiker stellten sich rasch auf die unterschiedlichen musikalischen Welten ein: von der pointierten Rhythmik Tschaikowskys über die rätselvolle Clarté Debussys hin zu den Wagner-Resonanzen in Ottorino Respighis „Pini di Roma“, den klangmalerischen Finessen von Dukas‘ „Zauberlehrling“ und der gleißenden Brillanz von Strawinskys „Feuervogel“. Und mit der kraftvollen Marianna Shirinyan am Flügel fühlten sich die Westfalen auch in der chromatisch lasziven, nervösen Welt von Gershwins „Rhapsody in Blue“ hörbar zu Hause.

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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