Jetzt auch im Kulturkanal: Lamento über den erbärmlichen Zustand der Straßen

Das höchst zweifelhafte Geschäftsgebaren des Limburger Bischofs beschäftigt offenbar weite Teile der Nation – und also gab’s einen ARD-„Brennpunkt“ dazu. Doch jetzt mal nüchtern betrachtet: Über den Herrn werden wir noch ein paar Tage oder schlimmstenfalls Wochen reden. Der Zustand unserer Straßen wird uns hingegen noch viele Jahre lang aufregen. Also bin ich meinem Vorhaben treu geblieben und habe mir die Sendung „Geflickt und zugeschüttet – Schlaglochrepublik Deutschland“ angesehen.

„Die Republik bröckelt“

Dem knackigen Titel nach zu urteilen, ist das ganze Lamento wohl bei RTL gelaufen? Weit gefehlt. Wenn’s drauf ankommt, findet man auch beim kulturgeneigten Kanal 3Sat markige Worte. Dann klingen die Sätze beispielsweise so: „Deutschland bremst sich aus.“ Oder auch so: „Die Republik bröckelt.“ Oder klischeehaft wie in der Schlussbilanz: „Straßen sind die Lebensadern unserer mobilen Gesellschaft.“ Wer hätte das gedacht?

Vor allem der stetig wachsende Schwerlastverkehr setzt den Straßenbelägen zu. (Foto: © ZDF/Sven Kiesche)

Vor allem der stetig wachsende Schwerlastverkehr setzt den Straßenbelägen zu. (Foto: © ZDF/Sven Kiesche)

Die Straßenbau-Industrie könnte Carsten Binsacks Film künftig glatt für ihre Lobbyarbeit einsetzen. Denn allüberall wird hier dringlicher Nachholbedarf ausgemacht und eingefordert, vor allem in den finanziell klammen Kommunen. Mindestens 6,5 Milliarden Euro seien jährlich zusätzlich erforderlich, um die Straßen wieder in einen annehmbaren Zustand zu versetzen. Da wir alle täglich Erfahrungen mit Schlaglöchern machen, ist auch sicher etwas dran am Befund.

Nuancen gingen verloren

Doch im Eifer des Gefechts gingen auch schon mal die Nuancen verloren. An einer Stelle hieß es, 40 Prozent aller deutschen Straßen seien „stark geschädigt“, später dann war abermals von jenen 40 Prozent die Rede, allerdings mit der deutlich harmloseren Bezeichnung „beschädigt“. Mit Verlaub, das ist nicht nur ein sprachlicher Unterschied.

Immer und immer wieder hieß es, der teilweise erbärmliche Zustand der Verkehrs-Infrakstruktur gefährde auch die Volkswirtschaft. Das ist sicherlich richtig, doch hier wurde es einem geradezu perfide eingehämmert.

Moniert wurde vor allem die bloße „Flickschusterei“ am Bestand: Kaltasphalt aufs Schlagloch gekippt, planiert – und fertig. Doch schon bald bricht an selber Stelle wieder die Straßendecke auf. Der TV-Beitrag plädierte folglich für eine nachhaltige Grundsanierung, die auf Dauer günstiger komme.

Streifzug durch Asphalt-Labore

Die interessanteren Teile des Reports führten in Versuchsanstalten und Labore, wo Fachleuchte vieler Fakultäten (Ingenieure, Chemiker, Geologen usw.) über neue, haltbarere Straßenbeläge nachdenken. Das eine Team testet neue Bitumen-Zusammensetzungen, das andere recycelt abgetragene Straßenreste und veredelt sie mit Wachs und Öl zum erneuten Gebrauch.

Doch solche frischen Ideen kämen viel zu langsam zum Zuge, ließ Carsten Binsack verlauten. Hie und da schien er dabei allzu technikgläubig und unkritisch zu sein. Fragen nach etwaigen wirtschaftlichen Interessen kamen beim ihm gar nicht erst auf. Er dachte nur in eine Richtung.

Blick in die fernere Zukunft

Auch um den beklagenswerten Zustand der Brücken ging es, und da kann einem tatsächlich angst und bange werden. Wir wollen mal inständig hoffen, dass deutsche Experten – wie von einem Beteiligten behauptet – tatsächlich ungleich bessere Prüfsysteme haben als die US-Kollegen. In Minneapolis stürzte 2007 eine Brücke mitten im Berufsverkehr ein…

Wie so manche Straßenbaukolonne die Schlaglöcher, so füllte auch der TV-Reporter hie und da nur notdürftig seine Themenlücken. Zwischendurch ging es nämlich gar nicht mehr um Straßenschäden, sondern gleich um Stauvermeidung, Abgasreduzierung und die „Intelligente Straße“ der Zukunft, die als Kunststoffhaut mit Sensoren versehen wird, dadurch alle Risiken erfasst und die entsprechenden Infos den betroffenen Autofahrern in Echtzeit übermittelt. Schöne neue Welt. Aber bis dahin fahren wir noch so manchen Kilometer.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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