Alte Griechen 2014: „Orestie“ In Oberhausen

Foto: Thomas Aurin/Theater Oberhausen

Foto: Thomas Aurin/Theater Oberhausen

Eigentlich wollte Orest seinen Stiefvater gar nicht töten. Aber der Typ hat einfach so viel gelabert, immer bla bla bla, und nicht aufgehört. Das war voll Stress. Und dann hat Pylades, der Honk, der Idiot ihn ins Knie geschossen und der hat geschrien und das Blut ist gespritzt und der hat immer noch weiter gelabert, bla bla bla, holt mir einen Arzt, ihr müsst mich ins Krankenhaus fahren, Hilfe, ich verblute. Und das war zu anstrengend und auch zu laut und damit das Gequatsche endlich aufhört hat Orest ihn dann abgeknallt, richtig in den Kopf und nicht nur ins Knie und dann war game over.

Überhaupt: Verdient hat er es auf jeden Fall, Aigisth, dieser Arsch. Ich meine, er hat Orests Mutter gefickt und seinen Vater getötet, wie Scheiße ist das denn? Das hat er alles verdient wie er es gekriegt hat und eigentlich noch viel mehr wegen Elektra und Iphigenie, aber man kann ja nicht alle gleichzeitig rächen. Die müssen sich auch mal selber rächen. Orest ist damit jetzt fertig und die sollen sehen wie sie klarkommen. Nicht sein Problem.

Wenn es eine richtig üble Familie gibt, so mit Hass und Mord und Fremdgehen und Kinder vernachlässigen und Ehemann betrügen und Saufen, Drogen, Krieg und Verrat, dann sind es wohl die Atriden. Eigentlich alte Griechen, aber der 30-jährige australische Regisseur Simon Stone hat die ganze verkorkste Familiengeschichte, die „Orestie“ nach Aischylos, in die heutige Zeit übersetzt und auf die Bühne des Theater Oberhausen gebracht.

Nicht, dass nicht schon andere versucht hätten, den antiken Stoff in die Gegenwart zu verpflanzen. Doch Simon Stones Ansatz ist radikaler: Er wirft jede antike Sprache komplett über den Haufen und formuliert alles neu. Dabei lautet zwar jedes fünfte Wort „fuck“, aber eigentümlicherweise funktioniert es trotzdem. Denn Stone trifft ins Herz dieser Geschichte und macht sie plausibel. Als Zuschauer erlebt man die Figuren endlich einmal nicht entrückt durch die historische Distanz, sondern als nervige Patchwork-Familie von jetzt und nebenan. (Also, als die Nachbarn, denen man lieber aus dem Weg geht, wenn sie im Jogginganzug zum Mülleimer schlurfen und sich in der Nachbarwohnung so laut streiten, dass man leider jedes Wort verstehen kann, was man eigentlich gar nicht will.)

Auf jeden Fall: Endlich versteht man den Schmerz, den Klytaimnestra über die Opferung Iphigenies empfindet und den Groll, den sie ihrem Mann Agamemnon gegenüber hegt. Denn er ist in den Krieg um Troja gezogen und hat sie jahrelang alleingelassen, mit Kassandra betrogen. So ließ sie Männer in ihr Haus und wählte Aigisth als Liebhaber. Eine schlechte Wahl, denn der Mann hat offensichtlich einen verdorbenen Charakter und will nur an die Macht. Die Kinder Elektra, Iphigenie und Orest werden derweil von den abwesenden oder überforderten Eltern abgeschoben und instrumentalisiert, wobei Iphigenies Schicksal besonders krass ist. Stone hat allerdings aus der Opferung Iphigenies um des Kriegsglücks in Troja willen eine unheilbare Krankheit gemacht, bei der Agamemnon Sterbehilfe leistet.

Die Schauspieler, die in der Mitte der Zuschauer auf einem quadratischen Podest spielen, sind allesamt großartig: Sie agieren zum Greifen nah und echt. Die Handlung hat Stone filmisch aufbereitet, in Vor- und Rückblenden zerhackt und Pulp-Fiction-artig durcheinandergewirbelt. So dauert der ganze Fluch auch nur zwei Stunden. So lange ungefähr wie man heute nach Athen fliegt. Nach Troja segeln muss keiner mehr und auf Wind warten auch nicht. Doch die unglücklichen Familien, die gibt’s irgendwie immer noch.

Infos und Karten:
www.theater-oberhausen.de

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