Ein Maikönig baut Mist: Brittens Oper „Albert Herring“ im Musiktheater Gelsenkirchen

Maikönig wider Willen: Albert Herring (Hongjae Lim) macht neben Lady Billows (Karen Fergurson) keine glückliche Figur. (Foto: Pedro Malinowski/MiR)

Maikönig wider Willen: Albert Herring (Hongjae Lim) macht neben der gestrengen Lady Billows (Karen Fergurson) keine glückliche Figur. (Foto: Pedro Malinowski/MiR)

Muttis Liebling soll Maikönig werden. Albert Herring, devoter Kaufmannssohn, keusch mangels Mut und Gelegenheit, wird im englischen Provinznest Loxford wider Willen zur Ikone der Moral erhoben. Das geht natürlich nicht lange gut: auch nicht im Musiktheater Gelsenkirchen, wo sich Benjamin Brittens Anti-Held alsbald mit Lust vom Sockel fallen lässt.

Der komische Dreiakter geriet nachträglich auf den Spielplan, weil die serbische Komponistin Isidora Žebeljan um eine Verschiebung der für den 26. April geplanten Uraufführung ihres Auftragswerks „Simon das Findelkind“ bat. Nicht als beißende Buffa, sondern als milde Parodie auf die puritanischen Sitten im viktorianischen England kehrt „Albert Herring“ nach nunmehr 24 Jahren auf Gelsenkirchens Opernbühne zurück.

Spitzendeckchenmuff zu vermeiden war das erklärte Ziel des österreichischen Schauspielers Thomas Weber-Schallauer, der Brittens Oper hier neu inszeniert. Er setzt auf eine dezente Ironie, die als amüsanter Grundton mitschwingt. Diesen begleiten die lichten und zeitlosen Bühnenbilder (Britta Tönne) und die trefflich charakterisierenden Kostüme (Martina Feldmann) durch kleine, aber feine Akzente. Die Empfangshalle der sittenstrengen Lady Billows gleicht einem Sakralraum. Der Pfarrgarten präsentiert sich als bizarr geschmücktes Wunderland mit grünen Pilzen und Monstergirlanden à la Lochness. In dieser Umgebung führen sich die pompösen Maifeier-Reden und der aufgeplusterte Nationalstolz von allein ad absurdum.

Zuweilen droht das Bühnengeschehen etwas zu nett und harmlos dahin zu plätschern. Aber die Neue Philharmonie Westfalen lässt unter der Leitung des Finnen Valtteri Rauhalammi dann doch keine Langeweile aufkommen. Im Orchestergraben wechselt Brittens Musik so fix und gewandt die Masken, als sei sie der eigentliche Hauptdarsteller. Die Musiker spielen schmiegsam und mit Freude an der Groteske, erfüllen die feinnervige Musik mit erlesenem Spott und filmmusikalischer Plastizität.

Brittens parodistische Anspielungen und Zitate leuchten so schillernd wie janusköpfig auf: Siegfrieds Hornruf, Tristans Vergessenstrunk, Händels königlicher Pomp und Kurt Weills Dreigroschen-Sound dürften manchem Musikfreund das Grinsen ins Gesicht treiben.

Der Tugendbold hat sich betrunken: Albert Herring (Hongjae Lim) hat die Fremdbestimmung satt (Foto: Pedro Malinowski/MiR)

Der Tugendbold hat sich betrunken: Albert Herring (Hongjae Lim) hat die Fremdbestimmung satt (Foto: Pedro Malinowski/MiR)

Dazu passt eine geschlossene Ensemble-Leistung, die uns die Parade verschrobener Spießbürger stimmlich punktgenau vorführt. Der Tenor Hongjae Lim verleiht Alberts Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben lyrisch-feinen Ausdruck, der immer schwärmerischer aufblüht. Hinzu treten die selbstherrliche Lady Billows (Karen Fergurson mit hysterisch angehauchten Koloraturen), ihre Kammerzofe Florence Pike (Almuth Herbst mit eilfertig-bekräftigenden Wiederholungen), die Lehrerin Miss Wordsworth (Alfia Kamalova mit leuchtenden Höhen), Alberts Mutter (Noriko Ogawa-Yatake mit absichtsvoll stupiden Tonleitern), der Dorfpolizist (Dong-Won Seo mit sturen Bassrepetitionen) und weitere Nebenfiguren. Sie alle wirken wie mit feinem Bleistift gezeichnet. Von der „widerlichen Tutti-Wirkung“, die Britten abstieß, ist dieses heitere Kammerspiel meilenweit entfernt.

(Der Bericht ist zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen. Informationen und Aufführungstermine: http://www.musiktheater-im-revier.de/Spielplan/Oper/AlbertHerring/)

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