Monatsarchive: Januar 2016

Familienfreuden XX: Die Spielzeug-Sekte

Das "richtige" Spielzeug. (Bild: Albach)

Das „richtige“ Spielzeug. (Bild: Albach)

Kinder sind Ideologie pur. Und seitdem Fiona da ist, weiß ich: Die Kampflinie verläuft zwischen Plastik und Holz!

Es war auf den Straßen von San Francisco, Fiona schlummerte selig in ihrem Kinderwagen, als uns eine Frau freundlich ansprach: „Sorry, are you from Germany?“ Normen und ich schauten uns erstaunt an: Wir waren es schon gewohnt, dass wir, kaum dass wir den Mund aufmachten, als Deutsche identifiziert wurden, aber just in diesem Moment hatten wir golden geschwiegen. Woran sie denn das erkannt habe, fragten wir neugierig. Zielsicher und mit breitem Grinsen zeigte sie auf die Spielzeugkette, die an Fionas Kinderwagen baumelte. Sie war – aus Holz. „In the US, this would be plastic!“

Niemals hätte ich … Weiterlesen

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Dem Pigment verfallen – Bilder und Skulpturen von Thomas Kesseler im alten Ostwall-Museum

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Lichthof des „richtigen“ Dortmunder Museums am Ostwall, geschüttete Fläche aus tiefblauem Pigment im Hintergrund, Künstler Thomas Kesseler davor. (Foto: Simone Melenk/BDA-Dortmund)

Das größte Bild in der Ausstellung ist gar keins, jedenfalls kein richtiges. Es ist eine rechteckige Schüttung aus ultramarinblauen Farbpigmenten, um die 100 Quadratmeter groß; Ein Gemälde zum Materialpreis von rund 600 Euro, das nach dem Ende der Ausstellung einfach zusammengefegt werden kann. Geschaffen hat es der Künstler Thomas Kesseler, als Auftakt gleichsam seiner Werkschau aus rund 30 Schaffensjahren.

Thomas Kesseler ist Architekt, Maler und Bildhauer. Bekannt wurde er einem breiteren Publikum durch seine künstlerischen Um- und Neugestaltungen sakraler Innenräume: St. Katharina in Unna, die Kapelle der evangelischen Akademie in Schwerte-Villigst, Kirchen in den Dortmunder Stadtteilen Eving und Rahm … Weiterlesen

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„Geschichte im Westen“ – zur 30. Ausgabe der verdienstvollen Zeitschriften-Reihe

„Tief im Westen“ krächzte Grönemeyer einst ins Mikrofon, und im Revier wusste jeder sofort Bescheid: Der Westen, das ist hauptsächlich das Ruhrgebiet, aber auch ganz Nordrhein-Westfalen zählt sich zum Westen der Republik.

Es gibt sogar seit einiger Zeit die Diskussion, ob in einem Europa der Regionen das wirtschaftlich starke NRW nicht besser in einem Staatenbund mit den Benelux-Ländern aufgehoben wäre als in der so bayernlastigen Bundesrepublik. Wer weiß, wie lange die Nationalstaaten alter Prägung noch existieren – und weil Historiker in langen Zeiträumen rechnen, gibt es in der Reihe „Geschichte im Westen“ auch dieses Thema.

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Mit Druckkosten-Hilfe der beiden Landschaftsverbände Rheinland (LVR) und Westfalen-Lippe (LWL) gibt es im Essener Klartext-Verlag seit nun drei Jahrzehnten die Zeitschriften-Reihe „Geschichte im Westen“. Natürlich … Weiterlesen

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Schrecklich nette Familie: „Umbettung“ von Jens Albinus in Köln uraufgeführt

Foto: Tommy Hetzel/Schauspiel Köln

Foto: Tommy Hetzel/Schauspiel Köln

Die Familie sitzt um das hölzerne Podest wie um einen überdimensionalen Küchentisch. Darüber hängen dänische Designerlampen. Doch die geschmackvolle Idylle (Bühne und Kostüme: Rikke Juellund) trügt: In dieser Patchwork-Familie ist nichts harmonisch.

Anlässlich der Umbettung der verstorbenen ältesten Tochter treffen Lili und Jorgen und ihre Töchter Katie und Liv nach langer Zeit wieder zusammen. Sofort gibt es Streit. Doch die wahren Familiengeheimnisse werden lieber verschwiegen…

Das neue Stück des dänischen Schauspielers und Dramatikers Jens Albinus wurde jetzt, von ihm selbst inszeniert, am Schauspiel Köln uraufgeführt. „Umbettung“ ist seine zweite Arbeit für das Haus und beleuchtet die Befindlichkeitsstörungen einer europäischen Mittelschichtfamilie. Doch vielleicht ist das zu zaghaft ausgedrückt, denn unter dem dünnen Firnis der Zivilisation lauert latent … Weiterlesen

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Einsam auf der Höhe der Kunst: Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ am Theater Hagen

Jonny (Kenneth Mattice) schwebt ein - und spielt auf. Foto: Klaus Lefebvre

Jonny (Kenneth Mattice) schwebt ein – und spielt auf. Foto: Klaus Lefebvre

Nein, eine optimistische Oper ist Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ nicht. Auch wenn der Komponist selbst in seinem Bandgeiger aus Amerika eine Figur des Urwüchsigen, Ursprünglichen und Freien gesehen hat. Roman Hovenbitzer inszeniert am Theater Hagen – im Vorgriff auf den 25. Todestag des Komponisten – die fast neunzig Jahre alte Erfolgsoper äußerlich als Künstlerdrama, im Kern aber als ein Stück über gespaltene Welten und Selbsttäuschungen.

Max, der Komponist, ersteigt einen Gletscher, bewegt sich auf der Bühne von Jan Bammes in einem weiß erstarrten, zerklüfteten Gebirge aus gestapelten Partituren vor einer abweisend geschlossenen, riesigen Eiswand. Er steht auf der Höhe seiner Kunst, aber erstarrt und einsam. Die Begegnung … Weiterlesen

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Von vier Liebhabern umworben: Händels seltene Oper „Partenope“ begeistert in Essen

„Partenope“ gehört zu jenen lang vergessenen Opern Georg Friedrich Händels, die erst in den letzten Jahren Bühne und Tonträger erobert haben. Fünf Mal ist sie inzwischen eingespielt worden. In der Essener Philharmonie war nun die lyrisch-heitere Oper mit der Besetzung der jüngsten CD, erschienen im November 2015, zu hören – mit zwei Ausnahmen: Philippe Jaroussky und der Dirigent Riccardo Minasi mussten absagen. Traurigerweise haben beide ihre Väter durch den Tod verloren.

Ein nobler Zug: Der französische Counter hat sich in einer persönlichen Botschaft beim Essener Publikum, verlesen vor dem Konzert von Intendant Hein Mulders, eigens entschuldigt. Mit seinen guten Erinnerungen an vergangene Auftritte in Essen verbindet er die Hoffnung, bald wiederzukommen. Lawrence Zazzo war für Jaroussky eingesprungen; das Orchester … Weiterlesen

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„Das Lachen der Täter“: Klaus Theweleits Gedanken zur monströsen Mordlust

Wir erinnern uns schemenhaft: Damals, ab 1977, haben praktisch alle links bewegten Leute Klaus Theweleits „Männerphantasien“ gelesen oder wenigstens darin geblättert und sich die Köpfe heiß geredet.

Da ging es um soldatisch zugerichtete Männerkörper und ihre Panzerungen, um ihre psychophysische Angst vor Fragmentierung und Auflösung, die sie dann als entgrenzte Gewalt nach außen kehrten – nicht nur in beiden Weltkriegen. So ungefähr. In zwei Bänden mit 1174 Druckseiten war das natürlich alles ungleich differenzierter und vielfältiger ausgeführt.

Klaus Theweleit bei seiner Lesung in Dortmund. (Foto: BB)

Klaus Theweleit bei seiner Lesung in Dortmund. (Foto: BB)

Klaus Theweleit (73) ist sich offenkundig treu geblieben. Noch immer wandelt er konsequent auf den Spuren seines einstigen Kultbuches, dessen Grundlinien er mit neuen Akzenten bis in unsere Gegenwart fortführt. Jetzt war er zu … Weiterlesen

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Schöner Skandal: Dortmunds Schauspielchef Voges mischt mit „Freischütz“ Hannover auf

Ein "Freischütz" sorgt für Wirbel in Hannover. Inszeniert hat die umstrittene Produktion der Dortmunder Schauspielintendant Kay Voges. Foto: Werner Häußner

Ein „Freischütz“ sorgt für Wirbel in Hannover. Inszeniert hat die umstrittene Produktion der Dortmunder Schauspielintendant Kay Voges. Foto: Werner Häußner

Das ist doch schön! In stumpf gewordenen Zeiten, in denen all die vaginal-anal-erektionale Blut-Sperma-Fäkalmetaphorik des postzeitgenössischen Theaters nur noch Augenrollen oder Schulterzucken hervorruft, schafft die Oper einen Skandal. Richtig befreiend, dass sich sogar die Politik wieder einmal mahnend zu Wort meldet. Wunderbar, dass die CDU-Ratsfraktion in Hannover die Schätze, die uns Dichter und Komponisten hinterlassen haben, „ins Niveaulose und Beliebige“ gezerrt sieht. Inzwischen gibt es sogar eine Anfrage der Landtags-CDU ans niedersächsische Kultusministerium. Und in der Kulturszene Hannovers hält die Debatte an.

Besser hätte es nicht laufen können: Wenn, wie maliziös orakelt, mit einem kleinen Skandal kalkuliert wurde, ist die … Weiterlesen

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Von leichter Kost bis zur Flüchtlingsnot – das Pogramm der Ruhrfestspiele 2016

Das letzte maritime Motto der Ruhrfestspiele lautete 2014 „Inselreiche: Land in Sicht – Entdeckungen“ und bot, wenn ich mich recht erinnere, vor allem gute Gelegenheiten, das eine oder andere Shakespeare-Stück auf die Festspielhausbühne zu stellen. Nun, nach dem französischen „Tête-à-tête“-Intermezzo 2015, ist wieder ein Meer das Thema, das Mittelmeer, das „Mare Nostrum“.

(Auch) wir im kalten Deutschland dürfen es „unser Meer“ nennen, weil (unsere) abendländische Kultur ebenso wie die monotheistische Religionen dort, im Mittelmeerraum, entstanden. Das soll nicht vergessen werden, auch nicht in Zeiten, in denen dieses Meer zum Symbol für massenhafte Flucht und für massenhaftes Sterben auf dieser Flucht geworden ist.

Burgtheater macht den Anfang

Wie bei den Ruhrfestspielen der Vergangenheit ist die Betitelung recht unverbindlich, und sicherlich hätte … Weiterlesen

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Ohne Gedünst: Philippe Herreweghe versachlicht in Essen Bruckners Fünfte

Der Residenz-Künstler der Philharmonie Essen: Philippe Herreweghe. Foto: Bert Hulselmans

Der Residenz-Künstler der Philharmonie Essen: Philippe Herreweghe. Foto: Bert Hulselmans

Die Bruckner-Kritik bedient sich seit etwa einer Generation gerne bestimmter Begriffe, um einen neuen Zugang zu den schwer erklimmbaren Gipfeln des Spätromantikers zu markieren: Bruckner müsse man, so heißt es, vom „Weihrauch“ befreien, seine Klangmassen entschlacken, Pomp und Prunk seiner monumentalen Setzungen aufbrechen, ihn gar entmythisieren oder entkatholisieren.

Da ist was dran; Michael Gielen etwa hat es in seinen Aufnahmen exemplarisch und manchmal verstörend nüchtern gezeigt. Aber der Verdacht, mit solchem bilderstürmerischen Elan von einer in die andere Ideologie zu driften, lässt sich nicht ausräumen. Beispiel „Pomp“: Was soll man davon halten, wenn Bruckner im Finale seiner Fünften Symphonie für den Blechbläserchoral fortissimo bis zum Ende vorschreibt? Damit will er … Weiterlesen

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Aus dem Leben eines Trinkers – „Die Reise nach Petuschki“ im Dortmunder Schauspiel

Uwe Rohbeck

Wenja (Uwe Rohbeck). (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Man weiß sofort, was mit Wenja los ist. Er ist ein Trinker, immer auf der Suche nach dem nächsten Schluck; einer, der in Hausfluren schläft und klaffende Gedächtnislücken hat. Wenja macht keinen Hehl aus alledem, sondern erzählt (wie man hier vielleicht nicht mehr sagen sollte) frei von der Leber weg.

Wenja hat auch Stil. Und Kultur. Die Abfolge der Getränke, des Wodkas, des Bieres, des Rosés, will bemessen und durchdacht sein. Auch wenn längst schon klar ist, daß nicht Wenja über den Alkohol, sondern der Alkohol über ihn gebietet. Besonders dann, wenn er nach Moskau reist; dann richtet sich sein Pfad nach den Kneipen und Restaurants, die geöffnet haben, weshalb er den Kursker … Weiterlesen

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Deutschland im Herzen: Über den Heimat-Begriff

Die New Yorkerin Carol Kahn Strauss (vorne) mit (v.li.) TU-Rektorin Ursula Gather, MKK-Leiterin Gisela Framke und Bürgermeister Manfred Sauer.

Die New Yorkerin Carol Kahn Strauss (vorne) mit (v.li.) TU-Rektorin Ursula Gather, MKK-Leiterin Gisela Framke und Bürgermeister Manfred Sauer. (Foto: Thomas Kampmann/Dortmund Agentur)

Ihr Kopf ragt gerade über das wuchtige Rednerpult, hinter dem sie steht – eine elegante, ausgesprochen zierliche Frau mit markanter runder Brille und langen, perfekt frisierten Haaren. Und doch: Kaum dass sie den Mund aufmacht, hat sie ihr Publikum voll im Griff. Die New Yorkerin Carol Kahn Strauss, 72, strahlt ungeheure Präsenz aus – ihre Aura macht die Körpergröße mehr als wett.

Dass sie dort steht, in der Rotunde des Dortmunder Museums für Kunst und Kulturgeschichte, über ihren Begriff von „Heimat“ spricht und die Einladung nach Dortmund gar als „Ehre“ bezeichnet – das ist alles andere als … Weiterlesen

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Klüngel um Kunst: Wenn die Pressesprecherin den Artikel gleich selbst schreibt…

Seit einiger Zeit steht fest, dass das einstige Dortmunder Museum am Ostwall, dem schon der Abriss drohte, zum Baukunstarchiv umgewidmet wird. Ein durchaus erfreulicher Vorgang. Hier aber geht’s um einen weniger erfreulichen Randaspekt.

Blick aufs frühere Museum am Ostwall, das künftig zum Baukunstarchiv wird. (Foto vom Oktober 2013: Bernd Berke)

Blick aufs frühere Museum am Ostwall, das künftig zum Baukunstarchiv wird. (Foto vom Oktober 2013: Bernd Berke)

Gelegentlich gibt es am Ostwall jetzt schon kurze Ausstellungen, ausgerichtet vom Bund Deutscher Architekten (BDA Dortmund Hamm Unna). Und damit sind wir beim Thema: Jüngst erreichte uns die Einladung zur Pressevorbesichtigung der Schau „Thomas Kesseler, Skulptur – Farbe – Raum“ (16. Jan. bis 14. Feb.). Kein Wort zur Qualität der Ausstellung, ich habe sie bislang nicht gesehen. Wohl aber ein paar Worte zu einem Vorgang, der mit medialen Gepflogenheiten bricht.… Weiterlesen

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Feueralarm in der „Tosca“-Pause – Gelsenkirchener Musiktheater geräumt

Am Abend vor der "Tosca": das Musiktheater im Revier Gelsenkirchen. Foto: Georg Lange

Am Abend vor der „Tosca“: das Musiktheater im Revier Gelsenkirchen. Foto: Georg Lange

Giacomo Puccinis „Tosca“ im Musiktheater im Revier hätte am gestrigen 14. Januar eigentlich aus künstlerischen Gründen im Gedächtnis bleiben sollen: Thomas Berau, Gast aus Mannheim, sang seinen ersten Scarpia; Erster Kapellmeister Valtteri Rauhalammi dirigierte seine erste „Tosca“.

Doch es sollte anders kommen: Das Pils stand schon bereit, die Currywurst auf dem Tisch, da tönte mitten in der ersten Pause der Evakuierungsruf durch die Foyers: Aufgrund einer „technischen Betriebsstörung“ sollten alle zügig das Haus verlassen.

Gut fünf Minuten später – es waren längst nicht alle Besucher draußen, die Räumung verlief ohne große Aufregung – kam die Entwarnung: Fehlalarm. Einen solchen Alarm während einer Vorstellung habe er in 28 … Weiterlesen

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„Wie sich die Welt von uns entfernt“ – die Kunst des Sterbens in Alban Nikolai Herbsts Roman „Traumschiff“

Zu den Heterotopien – den Orten, an denen abweichende Regeln gelten – zählte der Philosoph Michel Foucault neben Psychiatrien, Gefängnissen, Bibliotheken, Museen, Friedhöfen und anderen dem Alltag enthobenen Einrichtungen ganz besonders das Schiff. Das von Alban Nikolai Herbst beschriebene „Traumschiff“ kann man sich neben all dem Remmidemmi, der unentwegt für die vergnügungsfreudigen Luxuspassagiere veranstaltet wird, in etwa wie ein schwimmendes Altenheim vorstellen, inklusive Pflegestation und einiger Kühlkammern für die Leichen der unterwegs Verstorbenen.

Traumschiff Cover von der Verlagsseite

Nicht alle der mehr als 500 Passagiere und 278 Besatzungsmitglieder sind einem baldigen Tod geweiht, sondern lediglich jene 144, die „das Bewusstsein“ haben. 144 ist auch die Anzahl der Spielsteine im Mah-Jongg, dem chinesischen Sperlingsspiel, von dem der Ich-Erzähler ein schönes Exemplar in seiner Kabine aufbewahrt. Gregor … Weiterlesen

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Adieu, Mittelwelle! – Der Deutschlandfunk hat alte Radios arbeitslos gemacht

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Das ist das gute Stück: Philips Sirius, gut 65 Jahre alt und bis Ende letzten Jahres noch Deutschlandfunk-Empfänger (Foto: Pfeiffer)

Dieses Radio ist älter als ich. Tante Else und Onkel Otto haben es um 1950 herum gekauft, so weit ich weiß, ein Philips Sirius, hochmodernes Bakelit-Gehäuse in Schwarz und Nußbaumoptik. Die Ultrakurzwelle gab es zunächst nur als Nachrüstsatz, ein zum Zwecke der Belüftung durchlöchertes Blechkästlein im Gehäuseinneren, in dem zwei Röhren vor sich hinglühten, ohne daß indes je UKW mit dem Radio empfangen worden wäre. Irgendein entscheidendes Drähtchen muß da fehlen; aber um UKW soll es hier ja auch nicht gehen.

Nein, ich möchte an dieser Stelle und aus gegebenem Anlaß der Mittelwelle einige traurige Gedanken hinterherwerfen, genauer gesagt der … Weiterlesen

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Ungemein wandelbar, unstillbar neugierig – zum Tod von David Bowie

Als er neun Jahre alt war, hatte er eine Begegnung mit „Gott“, wie er es später beschrieb. Der kleine David Robert Jones aus Londons Stadtteil Brixton hörte Little Richards Version von „Tutti Frutti“ verzückt rauf und runter – und war seinem Vater Haywood endlos dankbar, dass der ihm die Rille geschenkt hatte.

Im Klang von Little Richards Stakkato erwachten der Sinn für die Musik, die Kreativität, das Sinnliche am Machbaren beim Jungen, aus dem später David Bowie werden sollte. Er wurde zur Ikone des Pop und zu einem Künstler, dessen Einfluss auf die Entwicklung des Genres ungeheuer wurde. David Bowie, das Multitalent mit dem androgynen Äußeren, ist jetzt mit 69 Jahren an Krebs gestorben.

David Bowie am 8. August 2002 bei einem Auftritt im Tweeter Center (Tinley Park bei Chicago). (Foto: Adam Bielawski/Wikipedia Commons)

David Bowie am 8. August 2002

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Über alle Gegensätze hinweg – Andreas Maiers Huldigung „Mein Jahr ohne Udo Jürgens“

Da schreibt ein viel beachteter Belletrist im hochrenommierten Suhrkamp-Verlag ein ganzes Buch über – Udo Jürgens. Ja, ist der Schlagermann denn überhaupt literarisch themenwürdig?

Das fragt sich Andreas Maier (zuletzt: „Die Straße“, „Der Ort“) auch selbst unentwegt, der gelinde Zweifel ist konstitutiver Bestandteil des Buches „Mein Jahr ohne Udo Jürgens“. Doch zugleich erfahren wir von einer Art – nun, nennen wir es ruhig beherzt „Erweckung“, die den am 21. Dezember 2014 gestorbenen Musiker mehr und mehr als quasi überzeitliches, dem Alltag enthobenes Phänomen wahrnimmt, in dem gleichsam alle Gegensätze aufgehoben sind… Nanu?

42519Als Kind hatte Andreas Maier noch Jürgens’ Erfolgslied „Siebzehn Jahr, blondes Haar“ vernommen. Dann setzte eine langjährige Pause ein, in der derlei Klänge nur noch peinlich waren. Die … Weiterlesen

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Rossini-Rarität am „Opernhaus des Jahres“: Nationaltheater Mannheim zeigt „Tancredi“

Herrscher im inneren Konflikt: Filipo Adami als Argirio in der Mannheimer Neuinszenierung von Rossinis "Tancredi". Foto: Hans Jörg Michel

Herrscher im inneren Konflikt: Filipo Adami als Argirio in der Mannheimer Neuinszenierung von Rossinis „Tancredi“. Foto: Hans Jörg Michel

Das Nationaltheater Mannheim – gemeinsam mit Frankfurt „Opernhaus des Jahres“ 2015 – hat in dieser Saison einen Spielplan, der jedem auf Auslastung und Publikumsbedienung fixierten Theaterchef den Sorgenschweiß auf die Direktorenstirn treiben würde: Noch wehte Franz Schrekers „Der ferne Klang“ durch die mächtige Schachtel des Zuschauerraums, da kündigten sich schon Hans Werner Henzes „Die Bassariden“ an, gefolgt von Gioacchino Rossinis „Tancredi“.

Und so geht es weiter im Hause von Klaus-Peter Kehr: Am 10. Januar hat Jacques Fromental Halévys „Die Jüdin“ Premiere, sieben Wochen später Sergej Prokofjews „Der Spieler“. Und danach als Uraufführung Bernhard Langs „Der Golem“. Selbst der Mozart-Abschluss im Juli … Weiterlesen

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Wenn’s beim Lesen nicht mehr raschelt – meine Erfahrungen mit dem E-Paper

Glaube niemand, ich hätte das alles einfach so gemacht. Nein, ich habe mich rundum abgesichert. Bevor ich mein Print-Abo einer überregionalen Tageszeitung in ein tägliches E-Paper umgewandelt habe, habe ich mir jederzeitige Rückkehrmöglichkeit zusagen lassen. Wenn ich wollte, könnte ich schon morgen wieder Druckerschwärze an den Fingern haben…

Außerdem liegen nach wie vor zwei andere Blätter morgens papieren auf dem Tisch, so dass der Entzug ohnehin nicht total ist.

Nun habe ich schon eine etwas längere Geschichte mit dem bedruckten Zeitungspapier. In meinen journalistischen Berufsanfängen habe ich noch Mettage und Bleisatz kennen gelernt, habe noch etliche Jahre auf herkömmlichen Schreibmaschinen gehackt, bevor dann nach und nach all die technischen Neuerungen Einzug hielten. Anfangs kamen einem selbst Faxe vor, als stammten … Weiterlesen

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Wahn zum neuen Jahr – ein paar Halluzinationen mitten in der Silvesternacht

Am 31.12. 2015 bin ich um 23.30 zu Bett gegangen. Ich hatte mich entschlossen, mich den Feierlichkeiten zu entziehen und ganz normal einzuschlafen, um im Jahr 2016 erst wieder aufzustehen. Mein Wunsch war also, wieder aufzustehen.

Draußen sind die ersten voreiligen Schüsse zu hören. All die, die Angst haben, um Mitternacht überhört zu werden, schreien ihre Böller schon vorab in die Luft. Hört! Hier bin ich und ich knalle. Ich knalle jetzt, weil ich nicht weiß, ob ich das neue Jahr noch erlebe.

Ich schließe die Augen.

Anstatt mich die Wiege des Schlafes zu begeben, reist mein Hirn durch alle Regionen der Welt. Ich sehe Knallerfontänen auf Tonga. Der König von Tonga, Tonga, Tonga, erhebt sein Zepter und zeigt damit … Weiterlesen

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Flucht vor dem Drogenkartell – in die gar nicht so idyllische Provinz

Das seit Jahren vermisste Mädchen Gesa war für die meisten Bürger in dem beschaulichen Bad Iburg längst in Vergessenheit geraten, als Andreas Atlas plötzlich wieder in dem Städtchen mitten im Teutoburger Wald auftaucht. Er hatte sich einst kurz nach dem Verschwinden der damals 18-jährigen aus dem Staub gemacht. Als er nun in seine alte Heimat zurückkehrt, holt ihn die Vergangenheit wieder ein, aber nicht nur ihn, sondern auch Bekannte und Kollegen aus früheren Zeiten.

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Andreas Atlas ist die Hauptfigur in Martin Calsows neuem Krimi, der von sehr unterschiedlichen Handlungssträngen lebt und recht eigenartige Persönlichkeiten aufzubieten hat. Das fängt schon bei Atlas selbst an. Er ist ein Mann des Bundeskriminalamtes, war als verdeckter Ermittler auf das mexikanische Drogenkartell angesetzt. Ihm gelingt … Weiterlesen

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