Soziale Miniaturen (19): Schimpf und Schande in der Republik

Es ziehen dunkle Wolken auf. (Foto: BB)

Es ziehen dunkle Wolken auf. (Foto: BB)

Es herrscht eine ungute Stimmung im Land. Zunehmend. Gereiztheit und Verbitterung schwelen oder grassieren nicht nur im Osten der Republik.

Ich rede nicht einmal von Idiotismen wie jener unsäglichen „Vogelschiss“-Rede. Zu berichten ist jedoch von zwei „zufällig“ am selben Tag aufgeschnappten Äußerungs-Fetzen auf offener Straße, reichlich laut an die direkte Umgebung gerichtet; jeweils von Männern, was nicht unbedingt etwas Spezielles besagen muss. Oder etwa doch?

1.) „Nein, ich höre n i c h t damit auf. Ich als Deutscher muss es mir nicht gefallen lassen, dass…“ (jäh aufbrausend, zu einer Begleiterin, die offenbar sanft zu widersprechen gewagt hatte)

2.) „Wir werden ja noch nicht mal mit den Flüchtlingen fertig…“ (einsames Schimpf-Solo)

(Zwischenfrage: Wie wird man mit Flüchtlingen „fertig“?)

Beim Rest des haltlosen Geredes war ich beide Male als gegenläufiger Passant schon weit genug entfernt, um nichts Genaues mehr zu vernehmen. Wahrscheinlich besser so. Sonderlich menschenfreundlich kann es nicht gewesen sein.

Jaja, is‘ klar, ich hätte sofort zivilcouragiert einschreiten sollen. Doch was hätte es bewirkt – außer vielleicht ein Handgemenge oder Schlimmeres?

Beide Herrschaften waren übrigens nicht etwa sozial auffällig im Sinne von „abgehängt“ oder sichtlich verarmt. Eher schon ziemliche Durchschnittstypen. Leute also, die von Linken kurzerhand als „besorgte Bürger“ verhöhnt werden.

Wiederum der Zufall (?) wollte es, dass ich ebenfalls dieser Tage in eine Feierlichkeit geraten bin, bei der gediegenes Bildungsbürgertum weitgehend unter sich war. Professoren, Studienrätinnen und so weiter. Doch man höre: auch dort sehr harsche Töne zur Lage der Nation, vor allem eine (offenkundig nach und nach angeschwollene) grundsätzlich entschiedene Abwehrhaltung gegen Folgen verstärkter Migration. Demnach verkommen die Schulen und überall werden christliche Kirchen zu Moscheen umgewidmet…

Es fielen dabei einschlägige Worte wie „Lügenpresse“. Und ein Neurotiker redete von Messerstechern in einer bedenklich angsterfüllten Weise, als stünde hinter jeder Ecke mindestens einer. Überdies galt es als ausgemacht, dass die Messermänner praktisch ausnahmslos Muslime sind. Wenn sie gerade mal nicht das Messer zücken, können manche von ihnen jederzeit Frauen betatschen. Einfach so. Auf offener Straße. Ungestraft. Und die Justiz? Ist letztlich machtlos. Und die Medien? Verschweigen alle Probleme. Na, und so weiter. All das klang reichlich pegidisch.

Nein, es war keineswegs eine explizit AfD-lastige Gesellschaft, die sich da versammelt hatte. Vielmehr (und das ist besonders erschreckend) überwogen eigentlich allgemein aufgeschlossene, polyglotte Menschen mit sozusagen „bunten“ Biographien, die in den oder jenen Erdteilen gelebt und dort etliche Freundschaften geschlossen hatten. Am Ende ist das Ganze wohl doch wieder eine Klassen- und keine „Rassen“-Frage.

Soll ich Euch jetzt noch erzählen, was ich andererseits neulich in der Dortmunder Nordstadt erlauscht habe? Da gingen zwei Typen mit „Migrationshintergrund“ vor mir her, die sich lautstark über Frauen aufregten – immerhin auf Deutsch. Ungefähr jede dritte Äußerung lautete „Diese Schlampen“ oder „Diese dreckigen Schlampen“. Schließlich zog der eine das zornige Fazit, keinen Einwand duldend: „Die Schlampen werden in der Hölle braten.“

Manchmal kommt es mir so vor, als sei die Parodie Wirklichkeit geworden. Hier wie da.

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Bisher in der losen Textreihe „Soziale Miniaturen“ erschienen und durch die Volltext-Suchfunktion auffindbar:

An der Kasse (1), Kontoauszug (2), Profis (3), Sandburg (4), Eheliche Lektionen (5), Im Herrenhaus (6), Herrenrunde (7), Geschlossene Abteilung (8), Pornosammler (9), Am Friedhofstor (10), Einkaufserlebnis (11), Gewaltsamer Augenblick (12), Ein Nachruf im bleibenden Zorn (13), Klassentreffen (14), Zuckfuß (15), Peinlicher Moment (16), Ich Vater. Hier. Jacke an! (17), Herrscher im Supermarkt (18)

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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