Soziale Miniaturen (7): Herrenrunde

Kleinstädtisches Ausflugslokal, sonntags. Norddeutsche Herrenrunde am späten Nachmittag. Alle in den Sechzigern. Großväter, finanziell arriviert und arrondiert. Sie würden sich als gestandene Männer bezeichnen. Man ist mit dem Bürgermeister per Du.

Die ersten drei, vier Biere haben sie verdrückt. Man muss nicht lauschen, um manches zu hören. Jetzt schlägt einer vor, endlich mal den ersten Schnaps zu nehmen. Ein anderer möchte vorerst beim Bier bleiben. Gejohle am Tisch: „Entweder alle oder keiner!“ Man einigt sich schnell auf „alle“. Als einer im Lokal einen Weißwein trinkt, sind sie geradezu aufgebracht. Weißwein bei uns an der Küste! Unmöglich. Wahrscheinlich ein Pfälzer. Oder ein Schwuler. Hohoho.

Zwei Tische weiter begeht eine Frau den „Fehler“, diskret ihr Baby zu stillen. Die einschlägig geeichten Herren bemerken es trotzdem und rufen halblaut herüber: „Musste den Pullover richtig hochziehen, dann kommt das Kind besser ran.“ Launige Lachsalve der Marke „Nix für ungut“. Besser aber, dass die Frau es nicht vernommen hat oder es geflissentlich ignoriert.

Da kochen sie wieder im eigenen Saft.

Wenig später betritt ein junges Paar die Gaststätte. Die Herren stecken die Köpfe zusammen. Die Frau erinnert sie ohne Umschweife an „eine Professionelle“, wie sie es nennen. Tuschelnd werden Mutmaßungen ausgetauscht. Ach was, keine Vermutungen. Tatsachen! Man kennt sich aus im Leben. Ihnen kann niemand etwas vormachen.

Dann wird es wieder lauter: Im Nu ist man bei Kachelmann, Strauss-Kahn und dem berüchtigten Betriebsausflug der Versicherungsleute nach Ungarn. Man weiß Bescheid. Und man hat seine klaren Ansichten.

Noch bleibt es unausgesprochen, doch es zittert in der Luft: Die Welt ist voller Sex, wie soll man da widerstehen? Und diese jungen Dinger, also bitteschön! Zicken! Biester! Wenn nicht Huren…

Wenn man nur noch besser zurecht wäre, so wie früher. Und wenn die Alte zu Hause nicht wäre. Ja, dann würde man noch einmal durchstarten.

Soweit die Vorglühphase.

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 2 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Alltag, Gesellschaft, Lebenswege, Liebesleben abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

5 Antworten zu Soziale Miniaturen (7): Herrenrunde

  1. Sam Jones sagt:

    Wahre Worte. Kopfschüttelnd versuche ich regelmäßig solchen Gestalten aus dem Weg zu gehen. Ungern möchte ich mich mehr als einmal am Tag dafür schämen, ein Mensch zu sein.

  2. Bernd Berke sagt:

    Wahrscheinlich würde auch die pharmazeutische V-Waffe keine Wunderdinge mehr bewirken.

  3. Michaela sagt:

    So, wie diese Herren schwadronieren, gehe ich mal davon aus, dass es bei dem einen oder anderen der Befeuchtung des Pulvers gar nicht mehr bedarf, um die Zündung zum Rohrkrepierer werden zu lassen.

  4. Charlotte Lindenberg sagt:

    Ich schließe mich an. Altteutsche Trinkrituale scheinen das Selbstbewusstsein (oder zumindest -empfinden) ganz ungeheuerlich zu erweitern. Und das mit den Miniaturen seh ich auch so.

  5. Ingo sagt:

    Da aber das Pulver schon feucht geworden dank der Herrengedecke, wird die Zündung wohl so oder so nicht mehr stattfinden; Bier und Schnaps sind eine feine Sache: selbstbewusstseinserweiternde Drogen.

    Ansonsten: ich liebe diese Miniaturen!

Kommentare sind geschlossen.