Versteckte Sünden quälen doppelt – Michael Hanekes Psychothriller „Caché“ mit Juliette Binoche und Daniel Auteuil

Von Bernd Berke

Georges und Anne Laurent haben es offenbar geschafft. Er moderiert einen Literatur-Talk im Fernsehen, sie arbeitet im angesehenen Buchverlag. Gebildete Leute also. Noch klüger aber wäre es wohl, sich in solch gut gepolsterter Bildungsbürgerlichkeit nicht ein für allemal sicher zu fühlen.

In Michael Hanekes Thriller „Caché“ (etwa: versteckt, verborgen) wird dieses Pariser Ehepaar gründlich irritiert. Anonymer Psycho-Terror aus heiterem Himmel: Nach und nach treffen etliche Video-Kassetten bei den Laurents ein; stets gehüllt in Blätter mit kindlichen Zeichnungen, auf denen Blut fließt.

Die Videos nähren Ängste: Irgend jemand weiß offenbar bestens Bescheid übers Leben der beiden mit ihrem halbwüchsigen Sohn. Sie scheinen rundum überwacht zu werden, wie von einem „Auge Gottes“. Sogar Georges‘ Kindheit scheint das „Phantom“ ausspioniert zu haben.

Folgt eine Erpressung? Nichts da! Die Bedrohung bleibt diffus. Immer nur weitere Kassetten – bis sich eine Spur ergibt. Anhand einer gefilmten Autofahrt lässt sich eine Adresse bestimmen: draußen vor Paris, im unwirtlichen Banlieue-Gürtel, wo ärmere Menschen wohnen. Klar, dass man hier nun die französischen Herbst-Unruhen von 2005 mitdenkt.

Unterschwellig schwelt die Aggression

In Hanekes Film schwelt die Aggression unterschwellig. Als der nervöse George mit einem schwarzen Radfahrer zusammenprallt, gibt es fast eine Schlägerei, weil der junge Einwanderer „Respekt“ vermisst. Vor allem aber: Hinter der Banlieue-Anschrift verbirgt sich ein Algerier, den Georges aus gemeinsamen Kindertagen kennt. Georges‘ Eltern hatten den kleinen Majid adoptieren wollen, weil dessen Vater und Mutter beim Pariser Antikolonial-Aufruhr 1961 in den Tod gehetzt wurden. Der damals sechsjährigeGeorges aber hat ihn aus kindlicher Eifersucht mit einer Lüge verpetzt, so dass Majid ins Waisenheim abgeschoben wurde. Damit begann sein Weg nach unten.

Jetzt steht Georges plötzlich in der verwahrlosten Wohnung Majids, bezichtigt ihn lauthals der Erpressung, droht mit Polizei. Kein Wort der Reue über „damals“. Majid jedenfalls streitet alles ab. Hat etwa sein Sohn die Videos geschickt? Beinahe egal. Hier geht es um mehr.

Kann ein Sechsjähriger schuldig werden?

Kann der sechs jährige Georges schuldig geworden sein? Falls ja: Ist sein Vergehen denn nicht längst verjährt? Oder wurzelt es tief in der Gesellschaft und wirkt über Generationen alptraumhaft weiter – wie alles Verdrängte oder gar wie eine Art Erbsünde? Solche Fragen stellen sich, doch Haneke drängt sie uns keineswegs auf.

Wir sehen, wie Ehe und Alltag der Laurents allmählich paralysiert werden. Auch zwischen Georges und Anne wächst das Misstrauen. „Caché“: Tatsächlich scheint hier jeder etwas zu verbergen. Immer öfter werden in diesem Film Lampen ausgeschaltet und Vorhänge zugezogen. Nur nichts verraten, am besten sich nicht einmal zeigen. Panik bricht aus, als Laurents Sohn eines Abends nicht nach Hause kommt. Es ist keine Entführung. Doch ein ungeheurer Schock steht noch bevor. Mehr wird hier nicht verraten …

Haneke erweist sich als einer der ganz Großen des Kino-Kontinents. Völlig verdient hat er für dieses Werk den Europäischen Filmpreis erhalten. Vergleichbar mit Hitchcock oder Chabrol, registriert er (zuweilen in quälender Echtzeit der Angst) kühl distanziert die wachsende Verstörung. Kaum überbietbare Besetzung: Daniel Auteuil und Juliette Binoche spielen Georges und Anne mit einer Intensität, die weit ins Innere der Schmerzen führt. Dieses Paar wird nie mehr ruhig leben können.

 

 

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ZUR PERSON

Laufbahn begann beimFernsehen   

  • Michael Haneke wurde am 23. März 1942 in München geboren und wuchs in Wien auf.
  • Ab 1967 war er Fernsehspieldramaturg beim damaligen Südwestfunk in Baden-Baden und drehte ab 1973 Fernsehfilme wie „Drei Wege zum See“ (nach Ingeborg Bachmann).
  • Sein erster Kinofilm hieß „Der Siebente Kontinent“ und lief 1989 in Cannes außer Konkurrenz.
  • Wichtige Kino-Werke: „Funny Games“ (1997), „Code unbekannt“ (2000, mit .Juliette Binoche), „Die Klavierspielerin“ (2001, nach Elfriede Jelinek, mit Isabelle Huppert) und „Wolfzeit“ (2003, ebenfalls mit Huppert).
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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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