Im Wettstreit um die Wirklichkeit – Wuppertaler Museum folgt Malern und Fotografen durchs „Abenteuer Barbizon“

Von Bernd Berke

Wuppertal. Anno 1849 wurde eine neue Eisenbahnlinie von Paris bis in den Wald von Fontainebleau getrieben. Was das mit Kunst zu tun hat? Eine ganze Menge. Denn fortan mussten Maler (und frühe Fotografen) nicht mehr die teuren, noch dazu engen und wackligen Postkutschen nehmen, um mit ihren sperrigen Utensilien in die Natur zu fahren.

In Scharen dampften sie nun mit dem Zug in die noch recht wilden Wälder rund um Paris. Hier im Grünen entstanden bald Künstlerkolonien, in denen man sich vorzugsweise der Freiluftmalerei widmete. Tatsächlich wäre der Impressionismus ohne diese neuen Verhältnisse nicht so entstanden, wie wir ihn kennen.

Wuppertals Von der Heydt-Museum betrachtet nun die Schöpfungen der unmittelbaren Vorläufer, die in der „Schule von Barbizon“ gipfelten. Rund 200 Leihgaben und 50 Exponate aus eigenem Besitz bietet man dafür auf. Museumsleiter Gerhard Finckh hat dem Haus eine neue Abfolge für den Rundgang und somit einen neuen „Rhythmus“ verordnet. Das zahlt sich auch bei „Abenteuer Barbizon“ aus. Trotz der zahllosen Landschaftsbilder wirkt die Schau abwechslungsreich und legt etliche Aspekte des Themas frei.

Fotografie fast gleichwertig vertreten

Werke von sieben Malern (bekannteste Namen: Jean-Baptiste Camille Corot,François Millet) und sieben Fotografen (Gustave Le Gray : u. a.) stehen im Mittelpunkt. Während die Lichtbildnerei sonst meist nur als Anhängsel gezeigt wird, ist sie hier fast gleichgewichtig vertreten. Nur muss man bei den empfindlichen alten Fotos (30 Lux Beleuchtungsstärke) genauer hinsehen als bei den Gemälden (200 Lux).

Fotografen und Maler haben seinerzeit offenbar einen recht friedlichen Wettstreit um die Wirklichkeit ausgetragen. In Barbizon schlossen sie Freundschaften und lernten voneinander. Manche Bildidee, deren Ausführung hernach in Öl prangte, dürfte auf den seinerzeit noch frischen „fotografischen Blick“ zurückzuführen sein. Etliche Maler bedienten sich bereits fotografischer Vorlagen, sie redeten nur nicht so gern darüber. Es hätte vielleicht an ihrem Genie-Status gekratzt.

Als die Realität im flirrenden Licht zerstob

Besonders aufschlussreich ist die Abteilung „Intime Landschaften“: Unter freiem Himmel gemalte Ansichten kommen nicht mehr mythologisch, anekdotisch oder sonstwie „aufgeladen“ daher. Statt dessen dominiert die puristische Nahsicht auf einzelne Phänomene, das Licht fällt natürlicher, stimmiger (und stimmungsvoller) als ehedem beim Nachvollzug im Atelier.

Den Übergang zur nächsten, heute ungleich berühmteren Stilrichtung kann man in Wuppertal bestens nachvollziehen: Denn bei den „Abenteurern“ von Barbizon konnten die Impressionisten anknüpfen. Ihnen zerstob die neu gewonnene Realität schließlich in flirrende Lichterscheinungen.

Barbizon hatte weitere Folgen: Angesichts massiver Waldrodungen für die Bahnstrecken formierten die Maler und Fotografen eine „grüne“ Bewegung. Sie gaben bedrohten Bäumen eigene Namen („Karl der Große“ usw.), um sie – gleichsam als beseelte Persönlichkeiten – zu retten.

Andererseits stimulierten gerade die Künstler den Ausflugstourismus mit ihren Bildern, die sie zuweilen im Taschenformat als Souvenirs anboten. Den Mechanismus glaubt man zu kennen: Jemand entdeckt und preist eine Naturschönheit – und leitet damit letztlich auch deren künftige Zerstörung ein.

Von der Heydt-Museum, Wuppertal (Turmhof 8). Bis 6. Mai. Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr. Katalog 20 Euro.

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HINTERGRUND

Treffpunkt Gasthaus

  • Feuchtfröhlicher Treffpunkt der Künstler im Dörfchen Barbizon bei Paris war ein Gasthaus, die „Auberge Ganne“.
  • Barbizon wurde zum Muster vieler Künstlerkolonien, die im 19. Jahrhundert entstanden sind.
  • Die sieben wichtigsten Maler wurden „Pléiade“ (Siebengestirn) genannt.
  • Sie wurden in ganz Europa berühmt. Doch als die Impressionisten (Renoir, Manet, Monet usw.) aufkamen, gerieten die Vorläufer in Vergessenheit.
  • Das etwas zwiespältige Verhältnis der damaligen Maler zur 1839 erfundenen Fotografie formulierte der Spätklassizist Dominique Ingres: „Was für eine wunderbare Sache ist doch die Fotografie (…) aber man darf es nicht laut sagen.“

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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