Mit Fernsehen in der Hölle eingesperrt – Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Dass es in der Hölle keine Bücher gibt, steht schon in Jean-Paul Sartres 1944 uraufgeführtem Stück „Geschlossene Gesellschaft“. In der Dortmunder Inszenierung von Philipp Preuss kommt erschwerend hinzu: Hier gibt es Fernsehen!

Ein alter Herr (Hans-H. Hassenstein) sitzt im Sessel und schaut sich eine Billard-Übertragung an. Monotoner geht’s kaum: „Klack-klack-klack“ machen die Kugeln. Nach einer Weile erhebt der Mann sich seufzend. Dieser „Kellner“ im satanischen Hotel der (Un-)Toten muss wieder alles herrichten für den Auftritt der Insassen. Am Ende wird er die Bühne ausfegen fürs nächste Mal. Und wieder wird er Billard glotzen. Ein diabolischer Kreislauf.

Hörproben einer quälenden Ewigkeit

Qualvolle Ewigkeit kündigt sich akustisch an. Eine Schallplatte fräst sich in einem Rillensprung fest: „Ratz, ratz, ratz . Bald spricht eine flackernde Glühbirne und legt lakonisch die Regeln dar. Fortan wird das Licht nie wieder verlöschen. Schlafloses Grauen. Kein Entrinnen.

Zwischen roten Blechwänden (Bühne: Ramallah Aubrecht) finden sich Inés, Estelle und Garcin ein. Auf Erden  sind sie durch aufgedrehtes Gas, Lungenentzündung bzw. Pistolenkugeln gestorben. Jetzt hat man sie im teuflischen Jenseits für immer miteinander eingesperrt, und sie werden Sartres Satz schmerzlich beweisen: „Die Hölle, das sind die Anderen.“ Sie zwingen einander gnadenlos zur Wahrheit – und die ist erbärmlich.

„Her mit deinen Geständnissen!“

Die Lesbierin Inés (herb, ziellos sehnsüchtig: Ines Burkhardt) hat eine Ehe mörderisch zerstört, die seelenleere und mannstolle Estelle (Astrid Rashed) hat ihr Kind ertränkt, der Journalist und Möchtegern-Held Garcin (Macho mit psychischen Dellen: Sébastien Jacobi) seine Frau gequält. Alles kommt heraus. Doch kein Folterknecht erscheint, das Trio erledigt die Bestrafungen selbst.

Geständniszwang also. Und die Türen sind von außen verriegelt. Dieser Terror gemahnt an die „Big Brother“-Situation. Darauf hebt die Inszenierung ab. Gar oft wird mit der Kamera hantiert. Die drei filmen sich selbst, sie filmen einander, richten das Objektiv ins Publikum, irren mit dem Gerät durchs Theater-Treppenhaus. Wer die Kamera hält, fordert gleich: Her mit deinen Geständnissen, deinem Sex, deinen Tränen! Und fast alles erscheint auf dem Bildschirm.

Die Seele versickert im „Nullmedium“

Dieser Einfall hat sich im neuesten Theater schon ein wenig totgelaufen. Die Dortmunder Variante hat freilich etwas für sich, sie betrifft einen Kern des Stücks: Während bei Sartre der bedrohliche Nebenmensch auch noch als notwendiger „Spiegel“ zur Ich-Findung dienen soll, versickert hier so manches folgenlos im „Nullmedium“ der flimmernden Bilder. Was bleibt, ist seelisches Ödland.

Doch die Aufführung wirkt nicht durchweg konzentriert, sondern etwas zerstreut und vorläufig. Ganz so, als sinne sie noch dem tieferen Gehalt ihrer Ideen nach. Wozu taugt denn das verschraubte, dem Stück hinzu gedichtete Gerede von den „anderen Anderen“, die die Hölle seien? Ausgang offen, was ja auch ein Vorteil sein kann.

Die Darsteller machen schon jetzt Beachtliches daraus. Es gibt einige bewegende Momente: So etwa, wenn Estelle aus ihrer schicken Attitüde in gläserne Verletzlichkeit abstürzt. Ganz zerzaust nun, ohne die Schminke und das Blond der Perücke. So schutzlos plötzlich, dass es beim Zuschauen weh tut.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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