Ist Sprache nur mit Schuld beladen? – Kontroverse Debatte über Schreiben in gewaltsamer Zeit

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Kann man der rechten Gewalt mit Worten Einhalt gebieten? Darf man dabei hoffnungsvolle Gegen-Begriffe wie „Solidarität“ und „Utopie“ noch ganz unschuldig verwenden, als seien sie nicht vom zerfallenen Kommunismus in Mißkredit gebracht worden? Um solche gewichtigen Fragen drehte sich jetzt eine prominent besetzte Autorendiskussion beim Jahrestreffen des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums in Düsseldorf.

Motto des Abends und der gesamten Tagung der Autorenvereinigung: ein vieldeutiger Satz von Roland Barthes, der da lautet „Sprache ist niemals unschuldig“. Moderator Klaus Bednarz (ARD-„Monitor“) wählte als Einstieg in die Debatte über „Schreiben in gewalttätiger Welt“ eine Brecht-Geschichte vom „Herrn Keuner“. Der begegnet der Gewalt, indem er sie zwar nicht bejaht, aber zuwartet, bis sie endlich entkräftet von selbst verschwindet – und erst dann aufatmend „Nein!“ zu ihr sagt.

Haben die Begriffe „rechts“ und „links“ noch Sinn?

Daran entzündete sich die Kontroverse. Günter Grass befand, so sei es in Deutschland ja stets. Nachher, wenn es vorüber sei, seien immer alle dagegen – gegen die NS-Diktatur, gegen das SED-Regime usw. Die duldsame Brecht’sche List im Umgang mit der Gewalt sei gefährlich. Man müsse hier und heute widersprechen. Er, Grass, lasse sich auch von niemandem Worte wie „Utopie“ ausreden. Er werde wütend, wenn man sich – wie es gegenwärtig Mode sei – über eine so wichtige Sache wie „Betroffenheit“ lustig mache oder wenn man schlankweg behaupte, die Begriffe „rechts“ und „links“ hätten gar keinen Sinn mehr.

Herta Müller („Niederungen“, „Der Fuchs war damals schon der Jäger“), die die Ceausescu-Diktatur in Rumänien durchlitt, bezog vehement die Gegenposition: „Das Wort ,Utopie` kann ich nicht mehr hören. Wenn jemand ,Solidarität‘ sagt, muß ich kotzen.“ Unter Ceausescu seien derlei Worte mörderisch mißbraucht worden. Also sei die Sprache mit Schuld beladen.

Und was bleibt? Herta Müller: Nur die Verantwortlichkeit in jeder einzelnen Situation. Die großen übergreifenden Gedankengebäude hätten keinen Wert mehr. Für solche Sätze gab’s Beifall vom zahlreich erschienenen Publikum in der Düsseldorfer Kunsthalle.

Die Demagogen auf der Straße zur Rede stellen

Der zuletzt über die Maßen gelobte junge Lyriker Durs Grünbein (ehemals DDR) meinte, nicht Literatur sei derzeit Schauplatz des Meinungskampfes, sondern die Straße. Vielleicht müßten Autoren sich auf die Straße begeben, um dort die Demagogen zu stellen. Ähnlich wie Herta Müller, die als Beispiel die furchtbare Bedeutung des Wortes „Abholen“ zur NS-Zeit nannte, sah auch Grünbein viele Ausdrücke ideologisch „kontaminiert“ und verseucht. Selbst ein so harmlos klingendes Wort wie „Treuhand“ sei auch Nazi-Deutsch gewesen. Den Schriftstellern selbst dürfe man nie trauen, man müsse ihnen vielmehr „alles zutrauen“. Schöngeister seien oft zu Tätern geworden. Der Diktator und Massenmörder Pol Pot habe Lyrik geliebt…

Autor Dieter Wellershoff wehrte sich gegen den geballten Sprachzweifel. Sprache könne immer noch „Ort der persönlichen Wahrheit“ sein, sie sei nicht von vornherein mit Schuld behaftet.

Doch wie begegnet man nun als Schreibender der akuten rechten Gewalt? Sind radikale Skinheads überhaupt mit (literarischer) Sprache erreichbar? Da blieb man recht ratlos, denn die Aufklärungs-Versuche all der zurückliegenden Jahre scheinen ja bei etlichen Leuten wirkungslos verpufft zu sein. Überdies speist sich Gewaltsamkeit längst nicht nur aus Sprache, sondern aus Bildern und Verhältnissen. Durs Grünbein: Schon das heftige Zuschlagen einer Autotür enthalte verkapselte Gewalt, unsere übertechnisierte Umwelt mache uns aggressiv…

Nach solchen Gedankenflügen vernahmen Podium und Publikum am Schluß ziemlich verblüfft die Wortmeldung eines Exil-Afghanen, der die Frage nach Worten wie „Solidarität“ ganz praktisch entschied: „Wir Ausländer in Deutschland brauchen Solidarität!“ So einfach ist das.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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