
Pierre-Auguste Renoir: „Nature morte aux pommes et grenades“ (Stillleben mit Granatäpfeln), um 1910, Öl auf Leinwand (Courtesy Kunststiftung Rainer Wild, Heidelberg © VG Bild-Kunst, Bonn 2025)
Es dürfte sozusagen die saftigste Ausstellung des Jahres sein, auf jeden Fall ist es die fruchtigste: Mit „Ein Genuss! Früchte in der Kunst“ präsentiert das Kunstmuseum Ahlen – erstmals in NRW – Ausschnitte der einzigartigen Sammlung des Heidelberger Unternehmers und Wissenschaftlers Prof. Rainer Wild, der sich just auf künstlerische Darstellungen von Früchten spezialisiert hat. Eigentlich kein Wunder, importiert und verarbeitet seine Firma doch Früchte aus aller Welt.
Über 100 Arbeiten von 77 Kunstschaffenden des 20. und 21. Jahrhunderts sind in Ahlen zu sehen. Da finden sich reihenweise große Namen aus der neueren Kunstgeschichte, beispielsweise (alphabetisch sortiert): Giorgio de Chirico, Lovis Corinth, André Derain, Rainer Fetting, Jörg Immendorff, Alexej von Jawlensky, Anselm Kiefer, Paul Klee, Markus Lüpertz, Pablo Picasso, Pierre-Auguste Renoir, Andy Warhol. Für ein solches Kunst-Aufkommen hat man wohlweislich die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Keine sonderliche prophetische Gabe ist nötig, um einen regen Publikumsandrang vorherzusagen. In solcher Erwartung öffnet das Haus samstags früher als sonst.

Rainer Fetting: „Äpfel aus Karwe I“, 1993, Öl auf Leinwand (Courtesy Kunststiftung Rainer Wild, Heidelberg © Rainer Fetting)
Gemalte Früchte haben eine lange Tradition. So wird denn auch in der Gegenwartskunst häufig aus dem historischen Fundus zitiert: Mal scheint ein berühmtes Bild von Caravaggio, bewusst unscharf gehalten, hindurch (bei Slawomir Elser), mal wird rückblickend auf die berühmten Frucht-Gesichter von Arcimboldo (goldene Skulptur von Miguel Berrocal) verwiesen – oder auf die Machart famoser Trompe-l’œil-Schöpfungen niederländischer Barockmeister. In all diesen Kontexten sind Früchte symbolisch „aufgeladen“. Oft stehen sie für schiere Lebenslust und Luxus, nicht selten aber auch für Vergänglichkeit und Verfall. Reife, sinnlich pralle und sodann allmählich verfaulende Früchte (prototypisch in Cony Theis‘ „Bananenzyklus“, 1992) deuten auf Phasen des Daseins hin, mit denen sich natürlich auch der Mensch gemeint fühlen sollte. So lässt sich denn in dieser Schau zwar vielfach schwelgen, doch hält sie ebenso viele nachdenklich oder melancholisch stimmende Momente bereit.

Karin Kneffel: „Ohne Titel (Goldene Trauben)“, 1998, Öl auf Leinwand (Courtesy Kunststiftung Rainer Wild, Heidelberg © VG Bild-Kunst, Bonn 2025)
Ahlens Museumsleiterin Martina Padberg macht beim Rundgang zudem darauf aufmerksam, dass Stillleben ein besonderes Genre der Kunst seien – schon weil hierfür kein Modell stillsitzen musste, sondern das Arrangement (Obstkorb und dergleichen) für lange Zeit unverändert vor Augen stehen konnte. So kommt es, dass manche Künstler gerade im Spätwerk zum Motiv der Früchte zurückkehrten, sich damit gleichsam „die Ruhe antaten“ und innere Einkehr hielten. Wunderbare Beispiele hierfür sind etwa Bilder von Giorgio de Chirico oder Auguste Renoir.
Vielfältig sind die Zugriffe aufs Thema. Als sinnvoll erweist sich in Ahlen die Abfolge von Räumen, die je einer Frucht gewidmet sind (Äpfel, Bananen, Trauben, Zitronen etc.), so dass der vergleichende Blick sich auf künstlerische Details richten kann. Gerade die hie und da angewandte „Petersburger Hängung“ (Bilder dicht an dicht beisammen) bewirkt solche Konzentration. Abgesehen von individuellen Eigenheiten, ist es schon ein wesentlicher Unterschied, ob es sich z. B. um Arbeiten aus dem Geiste des Impressionismus, der Neuen Sachlichkeit oder aus dem Umkreis der Pop-Art handelt.
Ganz nebenbei geben einzelne Werke auch sachliche Rätsel auf: Auf welcher Grundlage konnte Christian Rohlfs schon 1903 ein „Stillleben mit Ananas“ anfertigen? War ihm die damals noch sehr exotische Fruchtsorte bereits zur Hand? Zumindest erhob sich diese Frage während der Pressevorbesichtigung (Lösungsansatz siehe am Ende des Beitrags).

Hans Op de Beeck: „Vanitas (variation) 1″, 2015, Holz, Gips, bemalt (Courtesy Kunststiftung Rainer Wild, Heidelberg @ Hans Op de Beeck and Courtesy Galerie Krinzinger, Wien)
Nun noch ein paar willkürliche Schlaglichter auf weitere Einzelheiten: Max Kaminskis Triptychon „Garten der Lüste“ (2004) zeigt gleich eingangs die katastrophal bedrohte Umwelt, in der auch einstmals paradiesische Früchte zu vergehen drohen – wie denn überhaupt die biblische Apfelszene mit Adam und Eva zu den dauerhaftesten Überlieferungen zählt. Stephan Balkenhols schrundige Skulptur eines nackten Mannes mit Weinkrug und Trauben („Bacchus“, 2011) macht derweil aus dem Gott der rauschhaften Fruchtbarkeit ein reichlich normales, bodenständiges, ja etwas unberaten wirkendes Wesen. Karin Kneffels Bild „Ohne Titel (Goldene Trauben“, 1998) changiert unterdessen zwischen fotorealistischer Anmutung und genuin malerischer Behandlung.
Hans Op de Beeck stellt, nahezu raumfüllend, das riesige, Grau in Grau überzogene Blow-up-Abbild dreier Brombeeren dreidimensional vor Augen – ein Kunstwerk, um das man buchstäblich kaum herumkommt. Die Anregung sollen Geschmacks- und Geruchs-Erinnerungen aus der Kindheit gegeben haben – fast wie einst jene berühmten Madeleine-Kekse, mit denen sich Marcel Proust auf die folgenreiche „Suche nach der verlorenen Zeit“ begeben hat.
Damit an dieser Stelle genug! In einer Ausstellung, in der Ernst Barlachs Skulptur „Melonenesser“ (1906) im Jahrhundert-Abstand auf Ai Weiweis Wassermelone trifft (Auflagenstück aus Porzellan, 2006), herrscht an vielfältigen Anstößen zu eigenen Entdeckungen wahrlich kein Mangel.
„Ein Genuss! Früchte in der Kunst von Renoir bis Ai Weiwei“. Kunstmuseum Ahlen, Museumsplatz 1, 59227 Ahlen. Vom 6. Juli bis 26. Oktober 2025. Öffnungszeiten: Mi-Fr 15-18 Uhr, Sa, So und feiertags 11-18 Uhr. Eintritt 7 Euro, ermäßigt 5 Euro, Kinder/Jugendliche bis 18 Jahre frei. Kleinformatiges Katalogbuch (144 Seiten) 12 Euro.
Weitere Infos: www.kunstmuseum-ahlen.de
P. S.: Vielversprechend auch das Begleitprogramm. Da geht es etwa um die Verhältnisse im globalen Früchtehandel oder um die erbärmlichen Bedingungen für Erntehelfer im Süden Europas. Früchte können eben auch „politisch“ sein.
P. P. S.: Zur Ananas-Frage: Der rasch aufgerufene KI-Auszug der Suchmaschine ergibt, dass die Ananas bereits seit dem 17. Jahrhundert in deutschen Gegenden bekannt gewesen sei, zunächst „als exotische Delikatesse in herrschaftlichen Gärten und später als Importware“. Bereits ums Jahr 1700 gelang demnach ein Ananas-Anbau in Potsdam. Anno 1779 sollen dort 400 Früchte geerntet worden sein. Bis ins 20. Jahrhundert seien diese Früchte sehr teuer und nur begrenzt verfügbar gewesen.