Wenn Leere und Fülle eins werden: Bochum zeigt Kunst aus dem Geist des Buddhismus

Die Ruhrtriennale begibt sich (nach Streifzügen durch Judentum und Islam) diesmal auf spirituelle Erkundungen im entgrenzten Kraftfeld des Buddhismus. Selbst in Wagners „Tristan“, Shakespeares „Macbeth“ und Kafkas „Schloss“ will man solche Impulse freilegen.

Zu den szenischen Künsten gesellt sich das Bildnerische: Das Kunstmuseum Bochum zeigt jetzt – als Triennale-Begleitprogramm – die Ausstellung „Buddhas Spur“. Sie ist streckenweise meditativ, aber nicht esoterisch geraten. Sie bietet beileibe keinen umfassenden Überblick zum Thema, sondern schmeckt hie und da nach beherzter Gelegenheits-Auswahl, lässt aber einige Streiflichter kreisen.

Museumsleiter Hans Günter Golinski und Triennale-Intendant Willy Decker haben bei der (relativ kurzen) Vorbereitung kooperiert. Sie versprechen sich eine fruchtbare Wechselwirkung der verschiedenen Kunstformen, womöglich gar spannende Grenzüberschreitungen. Decker, der auch ganz persönlich und lebensweltlich auf buddhistischen Spuren wandelt, ist ohnehin überzeugt, dass strikte Abgrenzungen zwischen den Künsten sich auflösen.

Vor rund elf Jahren hat Golinski in Bochum eine Schau über die Wirkung der Zen-Philosophie auf avancierte Westkunst zusammengestellt. Nun sind Arbeiten von elf Künstlern aus verschiedenen Ländern Asiens zu sehen. Der Blick kommt also aus der anderen Richtung: Allen westlichen Einflüssen zum Trotz, sind immer noch buddhistische Haltungen und Denkfiguren in die asiatische Kunst eingesenkt. Ja, schon die Art, wie man Kunst betrachtet, ist in Asien völlig anders geprägt. Wollte man es ganz gröblich unterscheiden, so könnte man sagen: Während wir dem Werk eher objektivierend gegenübertreten wollen, versenkt man sich dort in Kontemplation und erstrebt Einswerdung. Doch auch das ist nur eine längst brüchig gewordene Teilwahrheit.

Die Bochumer Auswahl ist doppelgesichtig, denn man sieht nicht nur aktuelle Kunst, sondern auch Beispiele für den religionsgeschichtlichen „Unterbau“, sprich: vor allem historische Buddha-Skulpturen und Bildnisse, viele aus ortsnahen Privatsammlungen, sowie staunenswerte Exerzitien der Kalligraphie. Manches davon wirkt oder wabert in der gegenwärtigen asiatischen Kunst nach. Museumsleiter Golinski ist allerdings mulmig zumute, wenn er daran denkt, dass Buddha-Figuren inzwischen viele Friseurläden und Nagelstudios „zieren“. Von derlei Trivialisierung will man sich selbstverständlich sternenweit abheben.

Fußabdruck des Buddha, Nordwestpakistan, 1. Jhdt. n. u. Z. (Copyright: Museum DKM/Stiftung DKM)

Fußabdruck des Buddha, Nordwestpakistan, 1. Jhdt. n. u. Z. (Copyright: Museum DKM/Stiftung DKM)

Am Beginn steht ein etwa aus dem 2. Jhdt. nach unserer Zeitrechnung stammender Fußabdruck, der Buddha zugeschrieben wird. Hier klingt schon ein Grundmotiv an, das sich auch im Titel wiederfindet: Spuren als denkbar flüchtiges Phänomen auf dem Grat zwischen Abwesenheit und Anwesenheit, Werden und Vergänglichkeit. Daraus kann auch in der Kunst ein vermeintliches Paradoxon gerinnen: Sich der Welt zuwenden und sie doch überwinden.

Charwei Tsai: "Tofu Mantra" (schwarze Tusche auf frischem Tofu), Fotografie, 2005 (Copyright: the artist and Fondation Cartier)

Charwei Tsai: "Tofu Mantra" (schwarze Tusche auf frischem Tofu), Fotografie, 2005 (Copyright: the artist and Fondation Cartier)

Dementsprechend bewegen sich einige Künstler gleichsam an den Nahtstellen zwischen Leere und Fülle, Erscheinen und Verschwinden. Chen Shen (China) trägt unermüdlich Schicht um Schicht auf, bis seine Bilder sanft ins Nirgendwo zu entschweben scheinen. Charwei Tsai (Taiwan) projiziert kalligraphische Zeichen auf Pflanzen, Tiere oder Tofu („Tofu Mantra“) und erzeugt so flirrende Vexierbilder. Auf den Fotografien von Atta Kim (Korea), die auf berühmten, sonst touristisch übervölkerten Straßen entstehen, gehen nur noch Spuren der Betriebsamkeit in einem ungreifbaren Dunst auf. Es herrscht geisterhafte Stille an diesen fremdartig gewordenen Orten.

Die weiße Fläche wird generell nicht als bedrohliches Vakuum empfunden, sondern als offene Weite, in die alles einströmen kann. Willy Decker, der selbst asiatische Kunst sammelt und einige Exponate beigesteuert hat, ist gar überzeugt, dass in solcher uranfänglichen Leere der Quell aller Inspiration und Kreativität entspringt.

Der prominenteste Name der Bochumer Ausstellung ist Nam June Paik (Korea). Hier wird der meditative Grund seiner alles in Fuss versetzenden Fluxus-Kunst erahnbar. Eine wie traditionell hingetuschte Zeichnung ist entstanden, als Paik seine farbgetränkte Krawatte auf dem Bildträger hin und her gezogen hat. Sehr stille, konzentrierte Papierarbeiten sind von Paik zu sehen, aber auch ein Schrein mit nichtigem Fernsehfimmern, vor dem Buddha eine Angel auswirft. Überhaupt sind nicht alle Arbeiten ehern ernst zu nehmen: Kimsooja (Korea) lässt eine kreisrunde Jukebox als Mandala erscheinen. Kamin Lertchaiprasert (Thailand) hat aus Geldscheinen eine pappige Masse hergestellt und daraus wiederum im Lauf eines Jahres 365 figürliche Opfergaben gefertigt – eine der eindrücklichsten Schöpfungen dieser Ausstellung.

Nam June Paik: Ohne Titel (Tusche auf Papier, 1974) (Copyright: Nam June Paik Studios, Inc.)

Nam June Paik: Ohne Titel (Tusche auf Papier, 1974) (Copyright: Nam June Paik Studios, Inc.)

Long-Bin Chen (Taiwan) lässt zahllose Presseerzeugnisse aufflattern, als habe ein Sturm all das bedruckte Papier erfasst („Information Hurricane“) und wolle es hinwegfegen; offenkundig ein Einspruch gegen allgegenwärtigen Nachrichten-Overkill, ebenso seelen- wie körperlose Computerschriften und darin sich ergießendes Geschwätz des Tages. Wie tiegründig wirkt demgegenüber die kalligraphische Schriftkunst!

Gelegentlich stammt das Material asiatischer Kunst geradewegs aus religiösen Zusammenhängen: Montien Boonma (Thailand) hat buddhistische Almosenschalen zum nahezu magischen Dreieck gefügt, das erdenferne Ruhe ausstrahlt. Ein gigantisches Aschebild von Zhang Huan bezieht die stoffliche Grundlage aus buddhistischen Tempeln, in denen Weihrauch verbrannt wurde.

Doch es kann keine Rede davon sein, dass die Künstler den Buddhismus fraglos fortführten. In den besten Momenten zeigt sich die hier präsentierte asiatische Gegenwartskunst zwar zeitlos durchgeistigt, doch fast im selben Atemzuge ist sie mitten ins globale Jetzt gesprungen.

Zeitenthobene Zeitnähe scheint auch hierin zu walten: Derart früh hat sich asiatische Kunst vom Gegenstand gelöst, dass man schon im 13. Jahrhundert von Abstraktion sprechen kann. Kandinsky war ein wenig später dran…

„Buddhas Spur“. Zeitgenössische Kunst aus Asien. Kunstmuseum Bochum (Kortumstraße 147). Vom 28. August (14 Uhr Künstlergespräch, 15 Uhr Eröffnung, 17 Uhr Konzert) bis zum 13. November. Di-So 10-17 Uhr, Mi 10-20 Uhr. http://www.bochum.de/kunstmuseum

Blick auf Kamin Letchaipraserts Installation mit 365 Opfergaben (Foto: Bernd Berke)

Blick auf Kamin Letchaipraserts Installation mit 365 Opfergaben (Foto: Bernd Berke)

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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5 Antworten zu Wenn Leere und Fülle eins werden: Bochum zeigt Kunst aus dem Geist des Buddhismus

  1. Sylke Herberholt sagt:

    Nun, eins der eindrucksvollsten Exponate ist nicht benannt: die Fotografie der leeren Nische der von den Taliban zerstörten historischen Buddha-Statue in Afghanistan.

    Eine Leere, die so erfüllt ist, dass es einem eine Gänsehaut über den Rücken laufen läßt.

    Ansonsten erschließen sich sicherlich die inhaltlichen Positionen über die Kenntnis und das Verständnis buddhistischer Lehre – an dieser Stelle wird es spannend zu endecken, wie sich die Realitäten beziehen, verschieben und neu sortieren.

    Und sicherlich unverkennbar gibt es hier eine „kleine Auswahl“ buddhistischer Mannigfaltigkeit, will sagen, primär spiegelt sich die Tradition des Zen-Buddhismus wider.

    Gewünscht hätte ich mir in dieser Ausstellung nicht nur eine Stellungnahme, sondern vielmehr einen Diskurs im kontextualen Zusammenhang einer Jetzt-Zeit in unserem Kulturkreis.

    Aber vielleicht ist dies dann eine andere Ausstellung.

  2. ChaLi sagt:

    Sowas ähnliches hab ich vor über zwangzig Jahren zu einem BruderimGeiste auch ma gesagt (irgendwas mit Hoffnung, mein ich). Er darauf: „Wo Hoffnung is, is Angst.“ Wau. Hab ich mir bis heute gemerkt.

  3. ChaLi sagt:

    Hätt gern genauer beschrieben, welche Ausstellung zum gleichen Thema ich onceuponatimeinthenineties in eben jenem Museum heimsuchte und ganz großartig fand (aber ach: die homepage birgt noch Entwickluxpotential). Die aktuelle hab ich nicht gesehen, aber egal: Derartiges kann’s zum Wohl der fühlenden Wesen gar nich genug geben.

  4. Bernd Berke sagt:

    Nun ja. Hoffst Du denn auch, dass sich in unserer Kunst noch christliche Haltungen finden?

  5. scherl sagt:

    „Allen westlichen Einflüssen zum Trotz, sind immer noch buddhistische Haltungen und Denkfiguren in die asiatische Kunst eingesenkt.“

    … das möcht ich aber schwer hoffen …

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