Der braune Sud kann ständig überkochen – Thomas Bernhards „Vor dem Ruhestand“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Ist das nicht nett, wenn man beim Theaterabend an Tischen Platz nehmen darf und wenn dann noch Sekt gereicht wird? Doch diesmal ist es auch hinterhältig. Denn was tut man mit seinem Sekt. wenn auf der Bühne der Gerichtspräsident Rudolf Höller mit eben jenem Getränk auf den Geburtstag des „Reichführers SS“, Heinrich Himmler, anstößt? Am liebsten würde man das Zeug wegschütten.

Der unverbesserliche Altnazi Rudolf Höller bildet mit seinen altjüngferlichen Schwestern Vera und Clara das infernalische Trio in Thomas Bernhards Stück „Vor dem Ruhestand“, das jetzt in Dortmund unter der Regie von Catharina FIeckenstein Premiere hatte.

Die drei Geschwister leben zwischen verlogenem Plüsch mit Piano im Kultur-Eckchen (Bühnenbild: Tobias Wartenberg). In solchem Ambiente gedeiht und überwintert sie prächtig: die deutsche Seele, die einst ihr bisschen Schamgefühl „mannhaft überwunden“ und Menschen in die Gasöfen geschickt hat. Massenmord und Beethoven, das paßt hier aufs Schrecklichste zusammen.

Rudolf Höller begeht auch kurz vor seiner Pensionierung noch Himmlers Geburtstag. Dafür wirft er sich in seine alte SS-Uniform, die Vera eigens gebügelt hat. Im Vorjahr mußte seine an den Rollstuhl gefesselte Schwester Clara sich gar kahlscheren lassen und eine gestreifte Jacke aus jenem KZ anziehen, dessen Kommandant Höller einst war. Da lebt er auf, erinnert sich an alte Zeiten. Und da zeigt sich, daß all der braune Sud im Justizalltag immer nur knapp unter der Oberfläche gebrodelt hat und nun überquillt. Nur eines bedauert Rudolf: Daß er seine Gesinnung nicht öffentlich bekunden darf. Doch bald, sehr bald. werde es so weit sein. Wer würde da, zumal in diesen Zeiten, nicht erschrecken? Doch die Sache mit den Neonazis, die ist wohl eine ganz andere.

Bernhards Stück führt den Nazismus als Ausfluß eines zutiefst autoritären Charakters vor. Und der äußert sich in einer absurd-bodenlosen Theatralik. Die in sich kreisende Sprache spiegelt sehr genau innere Zwänge und Ausweglosigkeiten.

In Dortmund vertraut man dem Text sehr, man fügt ihm nichts Überraschendes zu. Es ist fast, als wolle man sich von Bernhards Worten zum Gelingen hintragen lassen. Das klappte zur Premiere noch nicht so gut, es gab einige Verhaspler. Zudem knirscht es noch etwas im dramatischen Getriebe, wird in mancher Szene allzu deutlich forciert bzw. zurückgenommen. Weder grotesk noch lakonisch, sondern nachdrücklich wird gespielt, als müsse man den Text nur noch unterstreichen.

Heinz Ostermann als Rudolf wälzt sich wohlig im Sessel, suhlt sich geradezu in der Vergangenheit. Gemütlichkeit, die jederzeit gefährlich werden kann. Explosiv auch das Doppeldeutige an seinem „Ruhestand“: Er ist dem Tode näher, und zugleich kann er nun alle Hemmungen fahren lassen. Helga Uthmann als Vera, inzestuös mit Rudolf verkettet, hält als eine Art BDM-Betriebsnudel im grellroten Kleid und mit „germanischen“ Zöpfen die verrottete Zwangsgemeinschaft aufrecht. Und Barbara Blümel als wortkarge, über lange Strecken bitter verstummte Clara: welch große Erschöpfung, welch gestauter Haß!

Nur an eines darf man nicht denken: Wie Claus Peymann das Stück im Januar 1980 nach Bochum mitbrachte. Es waren Sternstunden. Solche kann es nicht alle Tage geben.

Weitere Aufführungen: Heute (28. Januar), 12. und 17. Februar, jeweils 20 Uhr.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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