Neil Young am Rhein: Rock unter dem Regenbogen

Von Bernd Berke

Köln. Manchmal gibt es in Rockkonzerten überirdische Momente. So auch im Kölner „Tanzbrunnen“ am Ufer des Rheins, als Neil Young den alten Hit „Helpless“ anstimmt. Just bei den ersten Takten zieht ein prachtvoller Regenbogen über der Open-air-Szenerie auf. Da geht ein ergriffenes Raunen durchs Publikum.

Doch Neil Young ist durchaus von dieser Welt. Das drückt er schon mit seiner Kleidung aus. Im karierten Hemd tritt er in Köln auf. Derlei äußere Schlichtheit ist allemal sympathischer als die Eskapaden der Glamour-Boys des Rock. Worauf es ankommt: Musikalisch ist er den allermeisten turmhoch überlegen. Keiner außer Bob Dylan (aber der wirkt heute ausgebrannt) hat ein ähnlich breites Repertoire so guter Songs, keiner bleibt sich auch im ständigen Stilwandel so treu. kaum einer ist mit und ohne Verstärker gleich stark.

Die Vielzahl seiner Lieder hat nur einen winzigen Nachteil: Beim Live-Konzert wird es immer ein paar Dutzend Songs geben, die man auch noch gern gehört hätte. Doch den ganzen Neil Young wird man an einem Abend nie erleben – immer „nur“ den, der spontan beschließt, was er spielt und wie er es interpretiert.

In Köln bringt er kaum aktuelle Stücke, die Reise führt weit zurück in die Vergangenheit Stationen sind Klassiker wie „Needle and the Damage Done“ „Southern Man“ und „Like a Hurricane“. Spätestens bei einer neueren Nummer wie „Love to burn“, die er seinerzeit mit „Crazy Horse“ einspielte, fällt auf, daß „Booker T. & the MG’S“, mit denen er jetzt auf Tour ist, nicht ganz die aggressive Schärfe der Plattenversion erreichen.

Young & Co. liefern zwei pausenlose Stunden lang verdammt ehrliche Arbeit ab. Auf Distanz verliert sich ein Teil der Wirkung. Erst wenn man sich der Bühne nähert und sieht, wie Neil Young sich in jeden Ton und jeden Griff „hineinkniet“, springt der Funke über. Dann kann diese Musik fast so etwas wie Heimat und Bleibe sein. Und zugleich – wunderbares Paradox – eine Musik, die wie kaum eine andere zum Aufbruch, zum Immer-weiter-Gehen anstiftet. Das alles läßt sich nicht auf einen fest umrissenen Fankreis eingrenzen. Auch im „Tanzbrunnen“ sind sie alle vertreten – vom Schickimicki bis zu den Versehrten und Verwahrlosten diverser Szenen, „Normalos“ inbegriffen.

Natürlich werden lautstark Zugaben gefordert und gegeben: Das gute alte „Dock of the Bay“ von Otis Reading und Dylans „All along the Watchtower“. Vielleicht würde man an dieser Stelle noch lieber weitere Young-Kompositionen hören. Doch was soll’s. Jeder Song, den Young sich vornimmt, wird zum Young-Song. Zum Ausklang gibt es noch etwas zum Mitsingen, die Hymne „Keep on Rocking in the Free World“. Und damit verabschiedet sich der Kanadier auch schon aus Deutschland. Nur in Bad Mergentheim und Köln ist er aufgetreten. Ein seltsamer Tourneeplan.

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 17 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Rock & Pop abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.