Wer hat Angst vor der Freiheit der Farben? Arbeiten von Hartwig Kompa am Dortmunder Ostwall

Von Bernd Berke

Dortmund. Blau, blau, blau. Rot, rot, rot, rot. Gelb, gelb, gelb. – Kein hypermodernes Gedicht und auch kein Gestammel. Sondern so präsentiert sich (von links nach rechts „gelesen“) eine zehnteilige Farb-Installation im Lichthof des Dortmunder Ostwall-Museums. Erhaben und weiträumig wirkt sie, wie beinahe alles, was in diesem schönsten Teil des Gebäudes bislang zu sehen war.

Der Oberhausener Hartwig Kompa (Jahrgang 1947) befaßt sich seit fast 20 Jahren mit Farb-„Untersuchungen“, wie er es nennt. Zunächst ging er expressiv zu Werke, dann immer verhaltener, beinahe bescheiden den Ausdruckswerten der Farben folgend. Wichtig ist nicht eine Theorie von Wirkung und Wahrnehmung, Kompa will die Farben vielmehr in der Praxis auf die Probe stellen. Vertikale Rechtecke sind, weil sie körperlicher wirken als liegende, sein bevorzugtes Format.

Fast keine der 35 (zumeist mehrteiligen) Arbeiten aus den Jahren 1985-1992, die Kompa jetzt am Ostwall zeigt, trägt einen Titel. Eine Farbe ist eine Farbe. Man soll an nichts denken, sich an nichts erinnern. Man soll schauen, die Sinne schärfen, auch kleinste Wandlungen wahrnehmen. Eine Ausstellung also, für die man hellwach sein muß.

Ungebundene Pigmente

Auf den allerersten Blick erschließt sich nichts. Da sieht man beispielsweise in einem Raum nur verschiedene Blautöne. Wenn man aber verweilt, wird klar, auf wie viele Kleinigkeiten es hier ankommt: auf Höhen, Abfolgen und Abstände, auf das Spiel der Schatten zwischen den Bildern. Vor allem aber auf die Dicke der Bildträger, die man so richtig erst von der Seite her wahrnimmt. Ein und dieselbe Farbe wirkt bei derlei Variationen schon ganz anders; wie sehr unterscheiden sich erst ihre Nuancen!

Die Farbe ist frei. Buchstäblich. Denn Kompa verwendet ungebundene Pigmente in Pulverform. Das bedeutet: Die Farbmaterie ist ganz da, ganz gegenwärtig und greifbar (trotzdem gilt natürlich Berührungsverbot). Als Grundierung benutzt der Künstler feinste Metallspäne (Eisensinter), die sich auf der rauhen Leinwand festhaken. Auch der Untergrund verwandelt die Energie der Farbe. Das wird besonders augenfällig, wenn Kompa seriell arbeitet.

Noch einmal zurück zur Installation im Lichthof. Vor einiger Zeit lief in den Kinos Heiko Schiers Film „Wer hat Angst vor Rot-gelb-blau?“ Das Lichtspiel um Künstler und Kunstmarkt bezog sich auf Barnett Newmans Farb-Bild gleichen Titels, das traurige Berühmtheit durch ein irrsinniges Attentat erlangte. Im Dortmunder Lichthof leuchten nun eben jene Farben: Rot, gelb, blau. Wer hat Angst?

Hartwig Kompa – „Primär Farbe“. Museum am Ostwall, Dortmund. Ab Sonntag, 13. Dezember (Eröffnung 11.30 Uhr) bis 17. Januar 1993. Di. bis So. 10- 18 Uhr. Katalog 30 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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