Familienfreuden XXVII: Die Drei-Minuten-Lern-Biene

Zähne putzen ist ja so eine Sache, über die man als Erwachsener nicht mehr viel nachdenkt – es gehört einfach zum Tag dazu. Für Fiona hingegen gibt es viele Wege zu sauberen Zähnen. Der jüngste ist: die Drei-Minuten-Lern-Biene.

Zähneputzen wird zur existentiellen Begegnung. (Bild: Albach)

Vor einiger Zeit brachte ich den Müll raus. Plötzlich macht es „Platsch“. Eine dicke, weiße Pampe landete unmittelbar neben mir auf den Steinen. Erst hatte ich die Taube im Verdacht, die regelmäßig in unserem Baum nistet. Als ich aber nach oben blickte, sah ich keineswegs ein graues Federtier – sondern meine kichernde Tochter, die oben an der Brüstung des Badezimmerfensters lehnte. Im Schlafanzug, die Zahnbürste in der Hand, eine irgendwie für die Zahnpasta-Werbung verdrehte Version der Julia auf dem Balkon.

„Was machst Du denn da?“, fragte ich entgeistert und zugleich nicht besonders schlagfertig. „Zähneputzen!“, antwortete sie prustend. Hatte ja schließlich keiner gesagt, dass man das über dem Waschbecken machen müsste. Oder doch, ich, mindestens hundert Mal – nur dass das gleichbedeutend mit nichts ist, wenn man mit seinem Kind redet. Nur durch diesen Zufall also fand ich es heraus, dass unsere Tochter jeden Abend das Fenster sperrangelweit aufgerissen, sich an die Gitterstäbe gelehnt, in den Himmel geschaut, geschrubbt und dabei offensichtlich auch reichlich Spucke-Zahnpasta-Gemisch gen Erdboden geschickt hatte. Für die Nachbarn muss das eine herrliche Abendvorstellung gewesen sein. Und ich verstand nun immerhin, woher die weißen Flecken auf unseren Steinen stammten.

Blitzende Hauer

Diese Episode war allerdings nur eine auf dem holperigen Weg zu sauberen Zähnen. Keine Ahnung, wie es bei anderen Kindern ist – bei Fiona war immer ein gewisser Entertainment-Hunger bei diesem Thema vorhanden, der nicht allein durch Erzählungen von blitzenden Hauern gestillt werden konnte. Es fing recht harmlos an, mit einer kleinen, bunten Sanduhr, die wir an die Badezimmerwand pömpelten. Kurze Zeit war das Umdrehen und Rieseln des pinken Sandes eine ganz wörtlich feine Sache. Bis Fiona in den Kindergarten kam. Und sich dort einer fast ein Meter hohen Sanduhr gegenübersah, vor der sie mit einer Horde kichernder Freundinnen schrubbte und wuppte.

Für jede Lebenslage die passende App

Der nächste, immerhin langlebigere Versuch war digitaler Natur. Die Erkenntnis, dass es für jede Lebenslage die passende App gibt, bestätigte sich auch hier: Wir entdeckten eine Zahnputz-App. Darin konnte sich Fiona einen Zeichentrick-Charakter aussuchen und ließ sich von pinken Mäusen, frostigen Prinzessinnen und vergesslichen Fischen anfeuern, die drei Minuten durchzuwienern. Fortan tönte aus dem Bad eine eindringliche Melodie, die Normen und ich bis heute selbst dann summen können, wenn man uns aus dem Tiefschlaf weckt – beendet mit einem optischen und auditiven Feuerwerk. Jeder erfolgreiche Durchgang wurde außerdem mit einem Bild in einem virtuellen Sammelalbum belohnt. Dass dieses selbstverständlich vor jedem Zubettgehen durchgeblättert werden musste und sich entsprechend die Nachtruhe verschob, ist selbstredend.

Zum Wohle der Kauleiste

Die jüngste Erfindung zum Wohle der Kauleiste ist aber das, was ich die „Drei-Minuten-Lern-Biene“ getauft habe. (Vielleicht erinnert sich ja noch jemand an den in grauer Vorzeit geprägten Ohrwurm der Fünf-Minuten-Terrine?) Fiona muss allwöchentlich in der Schule neue Lernwörter verinnerlichen und so zum Beispiel auswendig lernen, dass man „Katong“ doch ein wenig anders schreibt, als es gesprochen wird. Ihre Lehrerin hatte den Tipp ausgegeben, die Wörter der Woche irgendwo hinzukleben, wo die Kinder sie täglich sehen. Fiona – welch Wunder – wählte den Badezimmerspiegel. Und so steht sie nun da, an jedem Morgen und jeden Abend, schaut auf einen mit Pferden und Herzen verzierten Zettel und sieht, wie essen, sein und haben durchkonjugiert werden. Drei Minuten lang, sechs Minuten täglich.

Sein oder Nicht-Sein hat bei uns nun plötzlich sehr viel mit Zähneputzen zu tun.

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4 Antworten zu Familienfreuden XXVII: Die Drei-Minuten-Lern-Biene

  1. Nadine Albach sagt:

    Liebe Frau Himmelreich, Ihr Kommentar hat mich sehr gefreut – und ermutigt, mich mal wieder häufiger an den Rechner zu setzen und zu schreiben. Vielen Dank, bleiben Sie gesund und alles Gute!

  2. Nadine Albach sagt:

    Lieber Herr Gerhardus, entschuldigen Sie die späte Antwort auf Ihren Kommentar, über den ich mich sehr gefreut habe. Tatsächlich habe ich lange überlegt, über Corona zu schreiben, weil es natürlich auch darüber sehr viel zu erzählen gibt. Wer weiß, vielleicht werde ich das ja noch machen. Ihnen wünsche ich ebenso, dass Sie gesund bleiben. Alles Gute!

  3. Maria Himmelreich sagt:

    Ich kann mich meinem Vorredner nur anschließen… Ich mag Ihre Ausführungen über das Leben mit Ihrem Kind sehr. So manche Situation habe ich schon wieder erkannt und vor allem auch die „Eltern Reaktion“ durchaus nachvollziehen können. Schade, das Sie nicht mehr soviel darüber schreiben. Ich habe mich auch immer sehr auf neue Beiträge gefreut. Vielleicht sollten Sie mal überlegen, einen eigenen Blog zu schreiben – wenn nicht schon längst geschehen – dann gerne her mit der Adresse 😉

    Alles Gute für Sie und bleiben Sie gesund
    Maria Himmelreich

  4. Gerhardus sagt:

    Liebe Frau Albach, nach langer Pause…. endlich wieder ein erfrischender und „inspirativer“ Beitrag aus dem Leben mit Ihrer Tochter. Ich habe immer mal wieder nachgeschaut und auf einen neuen Beitrag gehofft. Gerne hätte ich mehr gelesen, wie sich ihr Familienalltag auch in Coronazeiten gestaltet – da gab es sicher die Eine oder Andere witzige Situation.

    Ich möchte Ihnen in jedem Fall danken, das Sie mit ihren charmanten und herrlich selbstkritischen Texten den „grauen“ Alltag etwas erhellen. Ich weiß nicht, ob es allen so geht, aber mir gefällt einfach sehr, was Sie schreiben.

    Viele Grüße und bleiben Sie gesund.
    Freundlichst Ihr Herr Gerhardus

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