Entdeckungen auf Nebenpfaden des Barock – Bilder aus dem polnischen Nationalmuseum Warschau in Köln

Von Bernd Berke

Köln. Welch ein glückhafter Umstand, daß das polnische Nationalmuseum in Warschau zur Zeit renoviert werden muß. So kann nämlich eines der bedeutendsten Museen östlich der Elbe ein „Schaufenster im Westen“ üppig ausstatten: 65 Barock-Gemälde aus Warschau sind jetzt im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zu sehen (bis 8. Oktober).

Versteht sich, daß dies auch ein Ereignis von kulturpolitischer Bedeutung ist. Während bundesdeutsche Repräsentanten sich derzeit schwertun, nach Polen zu reisen, tauschen Museumsleute beider Länder seit Jahren Kunstschätze. Kultur als „Schrittmacher“?

Freilich ließen die Polen für diese Anstellung nicht alle Bilder „ausreisen“, vielfach war das Transportrisiko zu groß. So bekommt man denn in Köln auch einiges aus der „zweiten Garnitur“ des Barock zu sehen, was jedoch vor allem mit den Warschauer Beständen zu tun hat, die im von Teilungen und kriegerischen Überfällen verwundeten Polen nie kontinuierlich aufgebaut werden konnten.

Doch die Auswahl bietet immer noch Anregung genug. Man wird zu Entdeckungen auf Nebenwegen, abseits ausgetretener Pfade, verlockt. Es muß ja nicht immer Rubens sein. Auch andere konnten malen. „Europäische Malerei des Barock“ (Ausstellungtitel) — das heißt hier: Bilder aus Italien, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland. Immerhin gibt es auch ein paar relativ bekannte Namen wie Gerard ter Borch, David Teniers, Simon Vouet.

Man findet Belege für die meisten Grundzüge des Barock. Detailtreu und illusionistisch gestaltete, dramatisch-energiegeladene Szenen. Das Bild wird gleichsam zur Bühne saftiger Sinnlichkeit, in der der selbstgewisse Absolutismus jener Zeit sich so gern spiegelte.

Doch längst nicht alles entspricht dieser verengten Vorstellung von „lupenreinem“ Barock. Schon bei den Landschaftsbildern bestehen „ideale“ Inszenierungen etwa mit antiken Ruinen neben naturalistischen Formen. Erst recht bei der Gattung Porträt: Da existieren mythologisch verbrämte Darstellungen (Albrecht Lambertsz; „Porträt eines jungen Mädchens als Diana“), herrische Selbstinszenierungen des Adels, aber auch Spielarten des bürgerlichen Porträts. Besonders in den (zu Zeiten der Gegenreformation protestantisch sich behauptenden) nördlichen Niederlanden wurde weniger für adlige Auftraggeber als für den „freien Markt“ gemalt. Die Bilder gerieten nüchterner.

Gleichwohl verbirgt sich hinter scheinbar schlichten Arbeiten oft eine Fülle von Geschichten und Bedeutungen aus Mythologie, Bibel und Historie. Auch Stilleben sind nicht einfach Kompositionen sichtbarer Dinge. So steht z. B. Nikolaes von Gelders „Stilleben mit Taschenuhr“ (um 1663) für die Vergänglichkeit irdischer Dinge, und Genreszenen (darunter freizügige wie Wouter Pietersz‘ im Bordell zockende „Kartenspieler“) beziehen sich allemal auf eine Bild-Tradition, die den Sinn erst entschlüsseln hilft. Da solche Hintergründe in der Ausstellung nur angedeutet werden, empfiehlt sich der Erwerb des hervorragenden Katalogs (32 DM).

Während der beabsichtigte Überblick zu Gattungen und Themen beim Rundgang von selbst offenkundig wird, bedarf es der vertiefenden Katalog-Lektüre auch für die andere Leitlinie der Ausstellung: Zwei „Schulen“ sollen da ausgemacht werden, die der Rembrandt-Verehrer und die der Caravaggio-Nachfolger. Etwas für Leute vom Fach.

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 2 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Kunst & Museen abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.