Jeder Dichter braucht seine eigene Legende – Gespräch mit Robert Gernhardt auf der Buchmesse

Von Bernd Berke

Frankfurt. Robert Gernhardt (57), früher von der Kritik eher als Satiriker, Parodist und erlesener Humorist behandelt, gehört seit ein paar Jahren im öffentlichen Urteil einer höheren Gewichtsklasse an und wird endlich als der ernsthafte Dichter wahrgenommen, der er (auch) ist. Ein Gespräch auf der Frankfurter Buchmesse, wo sein neuer Band „Wege zu Ruhm“ (Haffmans) vorgestellt wird.

Fühlen Sie sich wohl mit Ihrem gestiegenen Ansehen bei der Kritik?

Robert Gernhardt: Ich fühle mich am wohlsten, wenn ich nicht fest zugeordnet werden kann. Ich nehme mir nach wie vor die Freiheit, auch mal einen Band mit Bilderwitzen zu veröffentlichen. Die Freiheit hat nicht jeder.

Wenn ein Peter Handke zum Beispiel plötzlich Witze zeichnen würde…

Gernhardt: Ich glaube, das würde das Handke-Bild doch sehr verstören. Obwohl man als Literat immer noch mehr Möglichkeiten hat. In der Bildenden Kunst sind die Zuordnungen noch viel strenger.

In Ihren nicht durchweg ernst gemeinten Ratschlägen für angehende Schriftsteller in „Wege zu Ruhm“ haben Sie an alles gedacht, auch an die Wahl des richtigen Pseudonyms. Nach dem Klangvorbild von „Pablo Picasso“ wird z. B. scherzhaft „Igor lncasso“ erwogen, was ja schon auf erwartete Einnahmen hindeutet.

Gernhardt: Im Grunde würde ich von diesem Namen abraten. Der Künstler sollte eigentlich stets den Bedürftigen raushängen. Der Leser will in der Regel keinen satten Künstler. Zwei Sachen machen ja den Ruhm aus: das Werk und die Legende. Bei der Frage nach dem Werk habe ich mich an Georg Christoph Lichtenberg gehalten, der es in zwei Worte gefaßt hat: „Laßt’s laufen.“ Goethe hat auch seinen „Werther“ laufen lassen – und der läuft bis heute. Mein Buch handelt mehr von der Legende.

Sie empfehlen sogar, sich frühzeitig die richtige, also legendenträchtige Todesart auszusuchen.

Gernhardt: Richtig. Man stirbt besser nicht auf den Champs Elysées bei Gewitter, durch einen herabstürzenden Ast erschlagen, denn das ist Ödön von Horváth schon passiert. Es wäre also ein Plagiat. Das Lesepublikum will immer neue Legenden von Außenseiter-Künstlern.

Was passiert denn einem jungen Menschen, der Ihr Buch rundweg für bare Münze nimmt?

Gernhardt: Nun, er kann sich schon einiges zu Herzen nehmen. Zum Beispiel sollte er zusehen, daß er ausgefallene Berufe betreibt. Leichenwäscher, Nachtportier oder dergleichen.

Haben Sie so was mal gemacht?

Gernhardt: Das ist nicht so doll bei mir. Ich hab‘ mal am Tiefbau gearbeitet. Sie treffen da einen wunden Punkt. Ich sollte tatsächlich meine eigene Legende noch mal überprüfen. Einer Journalistin hab‘ ich mal untergejubelt, ich sei bei der Fremdenlegion gewesen, und sie hat’s geschrieben. Das wäre vielleicht ein Baustein für eine Legende gewesen. Oder auch, wenn man im Knast das Schreiben anfängt – wie Jean Genet.

Aber Sie werden doch der Legende zuliebe nicht in den Knast wandern wollen?

Gernhardt: Nein, nein. Aber wenn man schon mal drin ist, sollte man es nutzen. Auf jeden Fall „kommt“ Knast bei der landläufigen Kritik besser als Hauptseminar und Fortbildungskurse.

Den vielbeschworenen „großen Roman zur deutschen Einheit“ dürfen wir von Ihnen wohl nicht erwarten?

Gernhardt: Oh, nein! Den hat doch der Grass gerade geschrieben. Wenn ich eine Rolle habe im Restaurant zur deutschen Literatur, dann nicht am Fenster, sondern am Nebentisch oder im Bistro. Jawohl, ich gehöre zur „Bistro-Bande“.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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