Verheißung und Grenzen der Freiheit – Andreas Stichmanns Roman „Eine Liebe in Pjöngjang“

Ist es nicht reizvoll, einen Roman zu lesen, der in Nordkorea spielt – obwohl ihn ein gebürtiger Bonner und Wahlberliner verfasst hat? Immerhin ist der 1983 geborene Andreas Stichmann 2017 im maximal abgeschotteten Lande gewesen und legt nun „Eine Liebe in Pjöngjang“ vor.

Zwei Frauen stehen im Zentrum des seltsamen Geschehens. Die eine heißt Claudia Aebischer, ist 50 Jahre alt und in der früheren DDR aufgewachsen, also mit Freiheitsbeschränkungen vertraut. Jetzt ist sie Präsidentin des Verbandes europäischer Bibliotheken. Klingt hochveredelt. Doch sie will den Posten aufgeben, um künftig selbst Literatur zu verfassen. Oder hat die Intellektuelle nicht das Zeug dazu?

Starker Hang zur deutschen Romantik

So will es die Fiktion: Claudia schickt sich nach mancherlei Nordkorea-Terminen an, in ihrer letzten Amtshandlung eine deutsche Bibliothek in Pjöngjang aufzubauen und zu eröffnen, selbstverständlich rundum betreut von eifrigem Überwachungspersonal; darunter eine noch sehr junge Frau namens Sunmi, die ganz anders zu sein scheint als ihre Landsleute. Hochbegabt und wissbegierig, als Germanistin mit Stipendien versehen und über deutsche Romantik promoviert. Novalis, Tieck, das ganze Programm. Als Fremdenführerin spricht sie ein Deutsch mit dem Einschlag von damals – mitten im heutigen Nordkorea. Die belesene Claudia findet das bezaubernd. Der ganze deutsche Journalismus-Tross, der sie anfangs begleitet, mutet demgegenüber furchtbar oberflächlich an.

Freilich hat das nordkoreanische Regime diese Sunmi, die mit abenteuerlicher Vorgeschichte als Waisenkind großgeworden ist, „fürsorglich“ einem weitaus älteren Ehemann, dem einflussreichen General Wi überantwortet. Widerspruch zwecklos, ja nicht einmal denkbar. Die beiden haben nichts, aber auch gar nichts miteinander gemein. Eine große emotionale Leere also. Man ahnt, was daraus entstehen kann. Sogar in Pjöngjang.

Die Möglichkeit einer Flucht

Ringsum geht es ziemlich gespenstisch zu. Immerhin dürfen die Westler gern dem Ginseng-Schnaps zusprechen. Zwischen bizarren Veranstaltungen, bei denen die beispiellosen Errungenschaften der Kim-Diktatur nach genauestens abgezirkelten Regeln zelebriert und gepriesen werden, wächst die gegenseitige Zuneigung der beiden Frauen, in geistiger und erotischer Hinsicht. Zusehends vertrauen sie sich einander an – bis Sunmi gar die Möglichkeit einer Flucht andeutet. Alsbald erträumt sich Claudia ein gemeinsames Leben in Berlin-Charlottenburg. Wie sich das anhört…

Doch überall tut sich verbal und gestisch vermintes Gelände auf. Selbst die Asien-erfahrene Claudia verfällt in ihrer Verliebtheit auf törichte Gedanken und droht gegenüber den empfindlichen Gastgebern unverzeihliche Fehler zu begehen, die Sunmis Flucht gefährden könnten. Auch mag sich Sunmi der westlichen Denk- und Lebensart, so wie sie sie wahrnimmt, letztlich doch nicht so recht anbequemen; allen Verheißungen einer unbekannten Freiheit zum Trotz. Ihr deutsches Lieblingswort lautet übrigens „emsig“ – und das passende Pflichtbewusstsein ist ihr zutiefst eigen. Die Westler sorgen sich hingegen stets nur um ihr „wertes Befinden“, wie es Sunmi ausdrückt.

Zwischen Saunadampf und Schnapsdunst

Derweil befindet sich offenbar vieles im unentschiedenen Schwebezustand. Das rigide Nordkorea, mit dem verglichen selbst die chinesischen Grenzlande bunt und lebendig erscheinen, ist wie von haarfeinen Rissen durchzogen. Selbst hier wirken offenbar untergründige Gegenkräfte, die eines Tages… In den besten Passagen des Romans glaubt man zu spüren, was es mit Nordkorea jetzt und in der Zukunft auf sich haben könnte.

Abgesehen von der Rollenprosa, mit der er Sunmis Romantik-Affinität vergegenwärtigt, pflegt Andreas Stichmann selbst einen eigenwilligen Duktus – mit knappen Sätzen wie „Kaum Betrieb herrschte.“ Oder: „Sie sah sich gesehen.“ Deutlich schmerzhafter schon die „denglische“ Stilblüte auf Seite 111: „Eine scharfe Egalness lag darin.“ So etwas gehört doch redigiert, oder etwa nicht?

Stellenweise hat der Autor seine liebe Not, wenn er drohenden Kitsch umschiffen will. Da wabert auch schon mal der Saunadampf oder eben der Schnapsdunst, damit die Dinge gnädig umhüllt werden. Vor allem aber lebt dieser Roman tatsächlich sehr vom Schauplatz. Eine ähnliche Handlung würde wohl an jedem anderen Ort der Welt weitaus weniger verfangen und wohl auch nirgendwo sonst auf diese Weise möglich sein. Hiermit dürfte sich Nordkorea als Pflaster für deutschsprachige Romane erst einmal erledigt haben. Wer widerlegt diese Prognose?

Andreas Stichmann: „Eine Liebe in Pjöngjang“. Roman. Rowohlt Verlag. 156 Seiten, 20 €.

 

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 26 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Gesellschaft, Literatur abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert