Satire in antikem Faltenwurf: Offenbachs „Schöne Helena“ mischt in Hagen Schmackhaftes und schlecht Verdauliches

Der Chor des Theaters Hagen spielt eifrig mit: Anton Kuzenok (Paris) schafft es am Ende doch, sich die „schönste Frau der Welt“ zu ergattern. (Foto: Björn Hickmann)

In Hagen ist es wieder bühnenfrisch zu besichtigen, das Dilemma der Offenbach-Rezeption. Gegeben wird „La belle Hélène“, von Simon Werle auf Deutsch übersetzt und von dem aus Wien stammenden Regisseur Johannes Pölzgutter mit ein paar neuen Texten bereichert.

„Die schöne Helena“ also entführt in ein kräftig parodistisches antikes Griechenland, in dem die Helden der Atridensage degenerieren zu Gesellschaftstypen des Jahres 1864. Die Hürde zum Heute ist eine doppelte: Paris, Menelaos, Achill, Ajax, Orest und Kalchas, das sind Namen, die einem wohlerzogenen Europäer von damals selbstverständliches kulturelles Grundwissen waren. Heute sind sie eine Sache von aussterbenden Bildungsbürgern und einer Minderheit von Absolventen humanistischer Gymnasien. Wer aber den Mythos nicht kennt, tut sich mit der Parodie schwer.

Die andere Stolperschwelle: Offenbach benutzte die wohlbekannten Figuren aus der Antike als Camouflage, um Polit- und Gesellschaftsgrößen seiner Zeit im unangreifbaren, aber pikant transparenten Gewand der Mythologie so bissig wie witzig zu karikieren. Aber wer kennt noch Louis-Napoléon Bonaparte mit seinem autoritären Regime und seinem Interesse an Julius Cäsar und der Archäologie? Wer weiß noch von seiner Sucht nach imperialen Erfolgen bei einer gleichzeitig schwachen Armee? Wer kennt sie noch, die Hofschranzen von damals, denen Offenbach offenbar genüsslich den Spiegel vorgehalten hatte?

Sandra Maria Germann (Eris), Angela Davis (Helena) und die schönste der Göttinnen, die „schaumgeborene“ Venus, wie sie Sandro Botticelli in seinem weltberühmten Gemälde sah. (Foto: Björn Hickmann)

Pölzgutter muss sich den Fragen stellen: Wie wirkt das Sujet unterhaltsam, wie ist Offenbachs persiflierender Witz, sein Tiefsinn zu erfassen? Wie seine bisweilen gallige Schärfe in die Jetztzeit zu übertragen, die alle „Werte“ der Gesellschaft seinerzeit verätzt hat und die mondän aufgehübschte Oberfläche der Verlogenheit, der Ideologie, der Selbsttäuschung freilegt? Sein Rezept, entwickelt mit Theresa Steiner (Bühne) und Susana Mendoza (Kostüme) vereint Schmackhaftes mit schlecht Verdaulichem. Zu letzterem gehört ein Teil der Kostüme: Sie sind zwar nett anzusehen, parodieren aber letztlich die Parodie und führen dazu, die Figuren in baren Unernst mit einem sauren Schuss Kitsch abdriften zu lassen, statt sie in behutsam übertriebenem Ernst in ihrem parodistischen Kern freizulegen. Bunte Antike und Herrentäschchen sind eben höchstens lachhaft.

Schauplatz mit Atmosphäre

Die Bühne dagegen hat in ihrer dekorativen Wirkung Potenzial: Das Meer, in Gold gerahmt, davor (und manchmal auch kopfüber eingetaucht) Sandro Botticellis schaumgeborene Venus. Im dritten Akt, wenn’s zur angeblichen Sommerfrische nach Nauplia geht, staffeln sich die gemalten Wellen. Ein Schauplatz mit Atmosphäre.

Zunächst agiert aber eine weitere Zutat der Regie: Pölzgutter führt – durchaus mythenkundig – die Figur der Göttin des Streits und der Zwietracht ein. Eris rächt sich mit dem goldenen Apfel für „die Schönste“ für eine nicht ausgesprochene Einladung – und Paris, der attraktive sterbliche Jüngling, muss unter den drei führenden Göttinnen wählen, eine Aufgabe, aus der er nur als Verlierer hervorgehen kann. In der Antike als verschrumpelte kleine Frau dargestellt, wird Eris auf der Hagener Bühne elegant, scharfzüngig und maliziös von der Schauspielerin Sandra Maria Germann verkörpert und knüpft und spinnt als befrackte Ariadne den Faden der Handlung.

Scheiternde Humorversuche

Was nicht funktioniert – und das hat sich bereits in zahllosen Regiebemühungen andernorts manifestiert – ist der schwerfällig kalauernde Humorversuch, „lustige“ Personen zu kreieren, indem man sie überzogen chargieren lässt. Sicher ist Menelaos ein grenzintelligenter Schwächling, aber wer ihn wie Richard van Gemert nur ein bisschen doof und ziemlich trottelig agieren lässt, unterschlägt das Gefährliche und Verblendete des Charakters. Auch das virile Protzgehabe der beiden Ajaxe (Götz Vogelgesang und Insu Hwang) und der blass gezeichnete Hedonist Orest der sympathisch frischen Clara Fréjacques gewännen durch Verzicht auf vordergründiges Humor-Gehabe. Gerade bei Offenbach lacht man über Personen, die sich selbst überaus ernst nehmen und damit den Graben zur Realität so tief aufreißen, dass sie mit all ihren Lebenslügen und Wichtigkeiten darin abstürzen.

Angela Davis (Helena) und der Damenchor des Theaters Hagen. (Foto: Björn Hickmann)

Glückender ist da schon das Porträt, das Angela Davis von der schönen Helena zeichnet. Auch wenn die Stimme mit eher schwerem Opernton die vitale Leichtigkeit der Diseuse uneinholbar macht, setzt Davis ihre Möglichkeiten gekonnt ein, gibt die aufgestylte Dame selbstbewusst, aber auch mit Momenten anrührender Nachdenklichkeit. Anton Kuzenok ist ihr Prinz Paris; er vermag vor allem durch seinen hübschen leichten, dabei klangvollen Tenor zu verzaubern. Kalchas als Parodie eines schmierigen Klerikers, mit den Blitzen Zeus‘ gekrönt, wäre ohne nachthemdähnliche Verkleidung als Charakter glaubwürdiger und bedrückender angekommen – wiewohl sich Igor Storozhenko alle Mühe gibt, aus der Figur etwas zu machen.

Taepyeong Kwak liefert mit dem Philharmonischen Orchester Hagen einen rhythmisch scharf geschnittenen Offenbach ohne Schwere und Fett. Die Couplets kommen auf den Punkt, die kurzgestanzten Ohrwürmer Offenbachs folgen einander in vergnüglicher Prozession.

Vorstellungen am 23.12., 31.12. (15 Uhr und 19.30 Uhr),  07., 15., 18.01., 25.02., 22.04.. Tickets: (02331) 207 3218, www.theaterhagen.de

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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