„Terra X“ zur Ernährung der Deutschen: Zahlensalat bis weit über die Sättigungsgrenze

Was für eine flackernde Welt: Da springen einen überall Zahlenkolonnen an, da gleicht fast jede menschliche Geste der Wischbewegung auf dem i-Pad-Bildschirm oder dem Fingerspreizen auf dem Handy neuerer Bauart. „Terra X“ (ZDF) bombardiert die Zuschauer bis zum Abwinken mit statistischem Material. Und das Fernsehen tut mal wieder so, als wäre es ein Computer.

Da die dreiteilige Terra X-Reihe „Deutschland – Wie wir leben“ jetzt mit unserer Ernährung endete, darf man durchaus auch von akuter Übersättigung sprechen. Mehr Zahlensalat kann man wirklich nicht in 45 Minuten Sendezeit packen, als es hier geschehen ist. Und zahlenhöriger kann man Statistiken nicht herbeten.

Auswahl zwischen 1500 Wurstsorten

Zunächst begleitete man die deutsche Durchschnittsfamilie (ein gewisser „Thomas Müller“ mit Frau Sabine und Sohn Jan) durch den recht traditionellen Einkaufs- und Ernährungsalltag, in dem die beruflich nur halbtags tätige Frau noch das Sagen hatte, während der Mann fürs Haupteinkommen sorgte und sich nebenher um Technik und Auto kümmerte. Das hatten wir doch schon mal?

Kaum ein Bild ohne eingeblendete Zahlen oder statistische Kurven... (© ZDF/Holm Holmsohn)

Kaum ein Bild ohne eingeblendete Zahlen oder statistische Kurven… (© ZDF/Holm Holmsohn)

Ansonsten wurde quasi jedes Gramm Fleisch, Kartoffeln oder Tomate atemlos aufgerechnet. Wir haben 1500 Wurstsorten, 9 Prozent von uns sind Vegetarier, ein bäuerlicher Betrieb ernährt 140 Menschen. Und und und. Die Ziffern prasselten im Halbsekundentakt, doch rein gar nichts wurde vertieft.

Bilanz mit der Brechstange

Statt gelegentlich mal bei einem Themenstrang zu bleiben, wurden unentwegt neue Fässer aufgemacht. Schließlich ging’s längst nicht mehr nur um Ernährung, sondern auch um Energie- und Wasserverbrauch, Ökologie und Glücksempfinden der Deutschen. Mit der Brechstange wurde Bilanz gezogen, dass es nur so knirschte. Die nahezu euphorisch berauschten Schlussminuten glichen dann beinahe einem Weichzeichner-Werbefilmchen der großen Parteien zur Wahl. Wir Deutschen sind demnach schon ziemlich große Klasse, wenn nicht gar Weltklasse.

Gern hätte man zuvor bei der einen oder anderen Information innegehalten. Denn es gab ja stellenweise durchaus Interessantes zu berichten. Auch sah man – neben den hilflosen Resultaten unsinnigen Bebilderungs-Wahns – etliche atemberaubende Aufnahmen (vor allem die Luftbilder, die freilich vielfach aus Freddie Röckenhaus‘ ZDF-Film „Deutschland von oben“ stammten) oder sinnfällige Verdichtungen.

Bloß nicht unter die Oberfläche dringen!

Eindrucksvoll war’s beispielsweise, alle Tiere auf einer Weide versammelt zu sehen, die der Durschnittsdeutsche im Laufe seines Lebens verzehrt: 945 Hühner, 46 Schweine, 4 Kühe, 12 Gänse… Auch der Einfall, dass fast die gesamte Einrichtung in Thomas Müllers Wohnung zu Öl zerfloss (weil es bei der Herstellung aller Plastik-Produkte literweise verwendet wurde), konnte sich buchstäblich sehen lassen.

Doch kaum drohte es mal wirklich interessant zu werden, da hechelte man schon wieder weiter. Die Devise schien zu lauten: Bloß nicht unter die Oberfläche dringen, bloß keine heißeren Eisen anpacken! Auf diese Weise ließ man so manchen Themenansatz sträflich links liegen.

Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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