Auf Ischia der Welt entfliehen – Arbeiten von Ulrich Neujahr in Haus Opherdicke

Bastia

Aquarell „Bastia“, 1929 (Bild: Kreis Unna)

Was fällt einem ein zu diesem Künstler, nachdem man die Ausstellung gesehen hat? Vielleicht dies: daß der Begriff „holzschnittartig“ für seine Holzschnitte nicht gilt. Licht und durchgezeichnet sind sie, egal, ob sie Menschen oder Landschaften zeigen. Nur wenige Linien blieben im Holz stehen, um beispielsweise 1929 „Gerda“, qualmende Zigarette in der Rechten, druckreif zu machen. Auf den ersten Blick könnte dies auch eine Kohlezeichnung sein. Und selbst ein „Mond über Sant’Angelo“ (ohne Jahr) ist trotz seines Themas ein Bild der leuchtenden Konturen und Schraffuren, nicht der Nacht.

Die lichte, Schatten vermeidende Bildauffassung zieht sich über Jahrzehnte hin wie ein roter Faden durch das Werk Ulrich Neujahrs. Gut 90 Arbeiten sind jetzt in Haus Opherdicke ausgestellt, Aquarelle, Öl, Kohle, Holzschnitte. Vorwiegend stammen sie aus dem Nachlaß, aus dem Sohn und Tochter je um die 400 Arbeiten besitzen; drei Bilder kamen aus der Sammlung Brabant, aus der ja häufiger schon Teile in Opherdicke gezeigt wurden.

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Selbstportrait in Positano, Holzschnitt, 1933 (Bild: Kreis Unna)

Bruchlose Biographie

In den Beständen der Sammlung Brabant, so könnte man wohl sagen, machten Sigrid Zielke-Hengstenberg und Thomas Hengstenberg als Kuratoren des Kreises Unna eine erste Bekanntschaft mit dem Schaffen Ulrich Neujahrs, der nicht so vielen Kunstinteressierten bekannt sein dürfte. Neujahr, er lebte von 1898 bis 1977, hatte in den 20er Jahren zunächst Architektur in Berlin studiert, nach dem Vordiplom (wie man heute vielleicht sagen könnte) jedoch auf Freie Malerei und Angewandte Kunst umgesattelt. Er wurde Kunstlehrer am Gymnasium und betätigte sich nebenher als produktiver Künstler, der ungern Werke fortgab, wie sich seine Tochter Cecilia erinnert, und dies dank der auskömmlichen Lehrerstelle auch nicht mußte.

Bekannt war er mit Größen der Malerei wie Eduard Bargheer und Werner Gilles, häufig besuchte er das legendäre Romanische Café, er hatte Frauen und Kinder, und alles in allem hinterläßt seine Biographie einen überaus bruchlosen Eindruck. Gravierende Probleme mit den Nazis gab es anscheinend nicht, auch hat diese dunkle Zeit der deutschen Geschichte ganz offenbar keine Spuren im Oeuvre hinterlassen, das von erstaunlicher Kontinuität ist.

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Sita Pagel mit Hut, Öl auf Leinwand, 1928 (Bild: Kreis Unna)

Ein Atelier in Sant’Angelo

Von zentraler Bedeutung ist in Ulrich Neujahrs Werk die Liebe zum Süden, vor allem zur italienischen Insel Ischia, die er in den 30er Jahren für sich entdeckte und wo er einen Großteil seines Lebens verbrachte – vor allem nach 1963, als er in den Ruhestand ging.

Im Fischerdorf Sant’Angelo hatte er sein Atelier mit Traumkulisse. Wer durch die Ausstellung streift, spürt schnell, wie sehr dieser Maler die Menschen, die Farbigkeit, das Licht, die Schönheit der Orte, die Spuren der alten Zivilisation liebte. Das eine oder andere Bild mag gar zu lieblich wirken, und manchmal vermeint man leise Rudi Schurickes „Caprifischer“ zu vernehmen. Doch so ist das eben mit den Sehnsuchtsorten. Und manchmal auch mit den zu Lebzeiten erfüllten Träumen eines Malers.

Neben den südlichen Bildern sind die Portraits und unter ihnen vor allem die Selbstportraits ein wesentlicher Schwerpunkt des Werks. Seit den frühen 20er Jahren bis kurz vor seinem Tod malte sich Neujahr immer wieder, und stets spiegeln diese Selbstportraits (meistens mit Pfeife) ein starkes Selbstbewußtsein. Der Mann, der sich hier zeigt, scheint nicht eben auf quälender Suche nach sicht selbst gewesen zu sein.

Mit Ausnahme einiger musikalischer Strukturen aus den 60er Jahrendie neue  – Frau, die spät er noch geehelicht hat, war Musikerin – bleibt das Oeuvre Neujahrs im Naturalistischen verhaftet. Allerdings wird hie und da durchaus Zeitströmung sichtbar, etwa ein ganz klein bißchen Kubismus im Stilleben „An Picasso“ (1956) oder etwas italienischer Futurismus in einigen Akten. Doch ist das alles sehr schön, sehr ausgewogen und sehr positiv. Als Betrachter wird man nirgendwo beleidigt oder provoziert.

Fraglos also ist die neue Bilderschau in Haus Opherdicke eine Wohlfühlausstellung für alle Freunde des Mediterranen und in ihrer schlichten Weltsicht der Vorgängerschau mit Arbeiten von Hans Jürgen Kallmann nicht ganz unähnlich. Für die nächsten Ausstellungen aber wünschte man sich etwas mehr Auseinandersetzung, Kritik, Drama. Vielleicht auch mal wieder einen Zeitgenossen? Vor etlichen Jahren, dies nur zur Erinnerung, hat der Kreis Unna sogar schon einmal den DDR-„Malerfürsten“ Willi Sitte ausgestellt.

  • „Ulrich Neujahr – Die Faszination des Südens“, Haus Opherdicke, Dorfstraße 29, Holzwickede.
  • &. Dezember 2015 bis 3. April 2016.
  • Geöffnet Di-So 10.30-17.30 Uhr. Eintritt 4,00 €
  • Katalog 24 €. www.kreis-unna.de, www.kulturkreis-unna.de
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