Soziale Miniaturen (17): Ich Vater. Hier. Jacke an!

Bei Playmobil ist alles ungleich idyllischer. (Foto: BB)

Im Miniatur-Kosmos von Playmobil ist alles ungleich idyllischer. (Foto: BB)

In einem Restaurant mittleren Anspruchs: Der Mann dürfte um die 30 Jahre alt sein. Er und seine Gefährtin (in dieser Reihenfolge) haben ein wenige Wochen altes Baby. Vielleicht sind sie das erste Mal wieder „draußen“ aus der vormals ungeahnten Elternschafts-Höhle. Nein, nicht „Hölle“.

Die Frau geht sehr natürlich und normal mit dem Kind um, als hätte sie es immer schon gehabt, sie macht kein Aufhebens. Doch dann erobert er die Szenerie. Er nimmt das Kind wie ein Handwerkszeug, demonstrativ fuhrwerkend. Er bleibt breitbeinig stehen und schwenkt es ausgiebig hin und her, als wollte er es allen mal so richtig zeigen. Betonter, gravitätisch ausagierter Vaterstolz. Potenzbeweis überdies.

Nun bringt die Kellnerin sein Essen, ein Pasta-Gericht. Mit ausgesprochen großspurigem Gehabe, als sei der Teller eine Baustelle, lädt er sich die Nudeln mit Begleitgedöns auf die Gabel und stopft sie – gröblich portioniert – stoßweise in sich hinein, geradezu animalisch. Auf vierschrötig eckige, buchstäblich anstößige Art. Dabei ist er kein „Proll“, sondern so ziemlich auf der Höhe des konsumierenden Zeitgeistes. Der Klischee-Tipp würde auf BWLer hinauslaufen.

Ganz egal, was er vollführt, er behält diese auffällige und unangenehme Großspurigkeit bei. In der Gestik beim Reden sowieso (er wird der Frau gewiss sagen, wo es lang geht), ja schon beim bloßen Nachsalzen; schließlich, wenn er sich einen Schal umlegt oder die Jacke überwirft. Entschieden ausgreifend und stets im Zeigemodus: Hier. Ich. Jacke an. Ihr. Hergucken. Hohooo!

Es ist das schiere Gegenteil von An-sich-Halten oder gar In-sich-Gehen. Er zieht mit den Händen stets weite Kreise um sich, beansprucht enorm viel Raum für seine geringsten Verrichtungen. Einer, der niemals eine Unsicherheit zugeben würde. Doch muss er nicht immerzu angestrengt wachsam sein?

Sie ist dermaßen anders, dass man schon den Vorschein einer baldigen Trennung zu ahnen meint. Und das Kind?

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Bisher in der losen Textreihe „Soziale Miniaturen“ erschienen:

An der Kasse (1), Kontoauszug (2), Profis (3), Sandburg (4), Eheliche Lektionen (5), Im Herrenhaus (6), Herrenrunde (7), Geschlossene Abteilung (8), Pornosammler (9), Am Friedhofstor (10), Einkaufserlebnis (11), Gewaltsamer Augenblick (12), Ein Nachruf im bleibenden Zorn (13), Klassentreffen (14), Zuckfuß (15), Peinlicher Moment (16)

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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1 Antwort zu Soziale Miniaturen (17): Ich Vater. Hier. Jacke an!

  1. Uta Rotermund sagt:

    So sind sie . Grauslich . Laut tönend in jeder Sphäre.

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