Die Musikwelt feiert heuer den 200. Geburtstag Franz Liszts. Das Bild über ihn scheint klar: der Frauenheld, der Tastenlöwe, zuletzt der gottesfürchtige Abbé. Doch wer war dieser Künstler wirklich? Michael Stegemann, Professor für Historische Musikwissenschaft an der TU Dortmund, weiß zu differenzieren. Hier ein Gespräch mit ihm – über Liszt den Neuerer, den Eitlen und Verzweifelten.
Franz Liszt, der Verführer und Virtuose – ist das alles, Professor Stegemann?
Natürlich nicht. Viele haben leider ein Bild über den Komponisten, das sich auf die Zeit zwischen 1830 und 1845 beschränkt und nur etwa zwei Dutzend Werke berücksichtigt. Dabei hat er mehr als 800 geschrieben.
Warum ist das so?
Liszt wurde bereits zu Lebzeiten demontiert, etwa von den publizistischen Gegnern seiner „Zukunftsmusik“. Das Publikum wiederum hat ihm nie verziehen, dass er seine Virtuosenkarriere im Alter von 36 Jahren aufgab. Und schließlich: Seine Tochter Cosima hat ihn kaltgestellt. Sie wollte ihn gegenüber Wagner bewusst klein halten. Man muss sich das vorstellen: Als Liszt in Bayreuth beerdigt wurde, erklang keine einzige Note seiner Musik, sondern nur die Richard Wagners.
Wie war Liszt eigentlich?
Er wollte nie Pianist werden. Sein Vater hat ihn in die Wunderkind-Karriere gedrängt. Natürlich hat Liszt sich später die Huldigungen gefallen lassen; er war durchaus eitel. Doch es gibt Briefstellen, in denen er sich angeekelt darüber zeigt, gewissermaßen als dressierter Affe pianistische Kunststückchen abliefern zu müssen.
Später flüchtete er in die Religion?
Nein, mit religiösen Fragen hat sich Liszt Zeit seines Lebens beschäftigt. Er war Franziskaner. Das Erlangen der niederen Weihen – seither durfte er sich Abbé nennen – war Endpunkt einer langen Entwicklung.
Was ist das Neue an Liszt, dem Zukunftsmusiker?
Er hat die klassischen Formmodelle radikal aufgehoben. Das Dur-moll-System hat er schon in seinem Frühwerk, etwa der Dante-Sonate, ausgehebelt. In seiner Programmmusik hat er poetische und musikalische Ideen verknüpft, nicht jedoch irgendwelche Bilder platt übertragen. Schließlich: Liszt hat sich mit fernöstlichen, fremden Harmonien beschäftigt. Sein Klavierwerk, das nach 1880 entstanden ist, war pures Experimentieren, für Aufführungen nicht gedacht.
Das Klavier-Festival Ruhr wird uns Liszt als Liedkomponisten vorstellen…
Ja, Gott sei Dank. Die etwa 100 Lieder, in sieben Sprachen komponiert, sind heute fast völlig vergessen. Dabei hat Liszt Texte vertont, die auch Brahms oder Schumann angeregt haben. Allein die Beschäftigung mit den Liedern reicht aus, um ein völlig anderes Bild von Franz Liszt zu bekommen.
Infos zum Klavier-Festival gibt es unter http://www.klavierfestival.de
(Der Text ist in ähnlicher Form in der WAZ erschienen).
Gestern abend in Duisburg hat Christoph Prégardien in seinem Robert – Schumann – Liederabend als eine der zwei Zugaben auch noch Liszts Vertonung von Heines „Loreley“-Gedicht ausgewählt. Ein interessanter Kontrast zu den Schumannvertonungen war das, zudem mit auffallendem Textbezug zu vorher gehörten Liedern mit Rhein- und Loreley-Thematik bei Schumann / Eichendorff bzw. Schumann / Heine.
Schon die Liedaufnahmen mit Mitsuko Shirai und Hartmut Höll haben mir seinerzeit sehr gut gefallen.
Vgl.: http://www.amazon.de/16-Lieder-Mitsuko-Shirai/dp/B000001WMW
Man höre z. B. Liszts Vertonung des Lenau-Gedichtes „Drei Zigeuner“.