Ed King, der fünfte Roman des amerikanischen Bestseller Autors David Guterson, sorgte in seiner Heimat bereits reichlich für Schlagzeilen. Die Fachzeitschrift Literary Review verlieh ihm den Preis für die schlechteste literarische Beschreibung einer Sex-Szene. Wenn das nicht Erwartungen weckt. Genau wie das Thema des Buches. Ödipus in die Moderne transferiert. Es braucht wohl neben guten Nerven auch eine besondere Form literarischer Obsession, um das Wagnis einzugehen, ein Motiv aus der klassischen Antike zu entlehnen. Das Fazit vorab: Es ist Guterson durchweg gelungen, des Königs Drama neu, relevant und glaubwüdig ins 21. Jahrhundert zu übertragen. Schlechter Sex hin oder her.
Gutersons König ist kein Royal per se, sondern sein zeitgenössisches Äquivalent. Ein Milliardär und Hightech-Titan. Ed King ist das Ergebnis einer flüchtigen Affäre zwischen einem verheirateten Mann und einem jungen Au-pair-Mädchen. Auf einer Türschwelle abgelegt, von einem wohlmeinenden, gut situierten Ehepaar adoptiert, mathematisch hochbegabt. Strotzend vor Selbstvertrauen, bar jeden Zweifels nutzt er die Chancen seiner von Technologie besessenen Zeit und steigt auf zum König der Suchmaschinen. Er führt das beste Leben, das man für Geld kaufen kann, „der Wind der Freiheit weht aus seinen Servern„. Und doch bleibt ihm am Ende nur die Frage, was ihm all die technischen Errungenschaften genutzt haben, wenn er vor der Unveränderbarkeit fundamentaler Gewissheiten menschlicher Natur steht.
Ed King ist ein schillerndes Buch. Guterson nimmt den Leser mit auf einen mal traurigen, mal wilden Parforceritt durch die letzten fünfzig Jahre amerikanischer Geschichte. Der Leser kennt zwar den Zielort, doch der Weg dorthin ist wie eine literarische Route voller Sehenswürdigkeiten. Manche Handlung ist arg weit hergeholt, doch die Persönlichkeiten und das Verhalten seiner Figuren sind immer glaubwürdig und dabei sympathisch. So ist Diane, die tragische Mutter und Ehefrau, zwar ein ausgekochtes Rabenaas, aber eins, das man mögen muss. Guterson erzählt von normalen Menschen, die ihr Bestes geben, um sich durch ihr Leben zu kämpfen. Er bündelt seinen Roman aus einzelnen Erzählsträngen, jeder einzelne in Ruhe auserzählt und am Ende eines jeden Kapitels lakonisch zusammengefasst. Seine bisherigen Romane waren oft getragen von einem elegischen, fast melancholischen Ton. Die Prosa in seinem neuen Roman ist gewohnt gestochen scharf, mit elegisch oder melancholisch ist aber größtenteils Schluss. Er erzählt gewinnend gutmütig, ab und an mit dreckigem Humor gewürzt, absichtlich ins Lächerliche abdriftend. Auch wenn er gelegentlich zwar nicht gerade die Moralkeule schwingt, den mahnenden Zeigefinger hebt er durchaus. Es ist schließlich eine Jahrtausende alte Geschichte, eine von denen, die uns sagen, dass man hingehen und Tabus brechen kann, dass man aber den Folgen von Hybris, übermäßiger Arroganz und lang zurückliegender Sünden nie ausweichen kann.
Ob der rasanten Handlung läuft man oft Gefahr, das Buch schneller zu lesen, als ihm gut tut. Man riskiert dabei, etliche klug versteckte Anspielungen – beispielsweise bei der Namensgebung handelnder Personen oder Erfindungen – zu überlesen. So gönnt der Autor sich einen äußerst geschickten Cameo-Effekt in Gestalt von Ed Kings Privat-Piloten Guido Sternvad. Dieser Pilot geht dem Leser mit seinem nicht enden wollenden Spaß an Anagrammen unsäglich auf die Nerven – bis man dahinter kommt, was ein mögliches Anagramm von Guido Sternvad wäre…
Man kann nicht anders, als Guterson für diesen geschickten Schachzug zu bewundern. Ausgerechnet der Wegbereiter, von Ed King auch seine persönliche schwarze Nemesis genannt. Solcher Rätsel durchziehen den Roman wie ein roter Faden und machen, auch gerade weil sie reichlich Allgemeinwissen und Kenntnis klassischer Geschichten voraussetzen, einfach Spaß.
Und der bad sex in fiction award? Zugegeben – Sexszenen sind Gutersons Stärke nicht. Mit etwas bösem Willen ließen sich seine hölzernen Umschreibungen auch direkt auf jedes beliebige zu verrichtende Handwerk übertragen. Aber geschenkt. Die Literatur hat schon weit schlechtere Szenen dieser Art hervorgebracht. Auch wenn der Autor den Leser kurz vorher direkt anspricht. „Also gut, wir nähern uns dem Teil der Geschichte, bei dem wir es dem Leser nicht verübeln können, wenn er gleich bis hierher gesprungen ist“ und vermutet, dass es wegen voyeuristischer Neugier auf eine Sexszene zwischen Mutter und Sohn sei – weit gefehlt. Die Erwartungshaltung, mit der man an ein Buch zu diesem Thema herangeht, beinhaltet andere Erregungszustände als ausgerechnet solche sexueller Art. Das Interessante, das Gelungene an Ed King ist, wie er dieses Jedem bekannte Motiv in die Moderne überträgt und die Spannung durchweg hält. Die Frechheit und die Chuzpe, mit der der Autor an das vermeintliche übergroße Thema herangeht, sind das halbe Lesevergnügen. Der Autor kommentierte die zweifelhafte Auszeichnung im übrigen mit der Aussage, Ödipus habe schlechten Sex praktisch erfunden. Er sei also nicht im Mindesten überrascht. Umso überraschter dürften etliche auch seiner treuen Leser dafür über sein gewagtes, aber im Großen und Ganzen gelungenes neues Buch sein.
David Guterson: „Ed King“. Roman. Verlag Hoffmann und Campe. 381 Seiten, € 22,99
Ich weiß es, ich weiß es!
So ist es. Wahrscheinlich hab ich schon viel zu viel verraten, aber ich wollte dem Leser ein wenig Vorgeschmack auf die vielen klugen Rätsel im Buch vermitteln.
Wobei das Buch die Auflösung dieses Rätsels auch komplett dem Leser überlässt. Wer nicht draufkommt, Pech gehabt. Im Buch erfährt er es nicht. Fand ich schon dreist genial.
Tu das doch mal. Bücher lesen macht Spaß und dieses hier ganz besonders. Ich war richtig nett niveauvoll unterhalten. Hat man ja nicht mehr allzu oft heutzutage….
Ich will ja mal nicht so sein und DIR das Rätsel auflösen. Allerdings nur in der Intimität unseres – wie sagtest Du – Salons. Kommt.
@ChaLi: Wenn Britta die Auflösung verraten würde, tät’s der Freude am Buch wohl ein wenig Abbruch.
Tät ich Bücher lesen, tät ich mit dem anfangen. Aber vorher noch eine Frage: Was genau issn jetz „das mögliches Anagramm von Guido Sternvad“?