Tiefen und Untiefen des Alltags: David Gutersons Erzählungen „Zwischen Menschen“

Für die Redewendung, wonach der Alltag die besten Geschichten schreibt, bietet der US-Schriftsteller David Guterson mit seinem neuen Band „Zwischen Menschen“ gelungene Beispiele. Der Autor, der durch seinen Roman „Schnee, der auf Zedern fällt“ weltweit Berühmtheit erlangte, erzählt von menschlichen Begegnungen. In den zehn Episoden erscheint das Aufeinandertreffen der Beteiligten anfangs eher belanglos, bevor sich die eigentlichen Dimensionen erschließen.

Mit jedem Kapitel beweist Guterson sein Talent, die Figuren psychologisch exakt zu taxieren, wodurch ihre Gegensätze und die Spannungen in den jeweiligen Beziehungen deutlich zu Tage treten. Ganz selten nur ist harmonische Stimmung zu spüren, die will auch nicht in der Kurzgeschichte „Paradise“ aufkommen, die davon handelt, dass sich zwei ältere Menschen, eine Soziologin und ein Handelsrechtler, über eine Kontaktbörse kennen gelernt haben und nun auf den richtigen Partner für den Lebensabend hoffen. Doch die Vergangenheit kann manchmal dunkle und vor allem lange Schatten werfen, wenn Kindheits- und Jugenderlebnisse nicht aufgearbeitet werden.

9783455404814„Problems with people“ lautet der Originaltitel des Buches, eine Überschrift, die auf alle Erzählungen zutrifft. Da möchte ein Vermieter wohl gerne enger verbandelt sein mit seiner Mieterin, doch die Annäherungsversuche sind zwar nicht plump, aber auch keineswegs gelungen. Aber selbst wenn er überzeugender aufgetreten wäre, stellt sich die Frage, ob sie ihm wirklich eine Chance gegeben hätte. Diese Geschichte lebt vor allem durch eine aus Sicht des Wohnungsbesitzers eher ungewollte Komik.

Wortwitz prägt vor allem die Zusammentreffen eines Seniors mit der Hundesitterin, die er für seinen Vierbeiner gebucht hat. Die Gespräche lassen den Kontrast zwischen den beiden Menschen überdeutlich werden, doch trotz aller Rivalität entwickelt sich eine tiefe Bindung, die auch noch hält, als der ältere Herr ins Hospiz kommt.

Wie sich das Leben durch Demenz verändert, darüber sind schon Bücher über Bücher geschrieben worden. Guterson schildert das Schicksal eines an Demenz erkrankten Anwalts, der kurz nach seiner Pensionierung die Diagnose erhält. Nun möchte er wenigstens noch die größte innere Belastung loswerden und wissen, wie es um den Sohn bestellt ist, zu dem seit Jahren kein Kontakt mehr besteht. Ob die Entscheidung am Ende aber wirklich so glücklich war, darüber lässt sich vortrefflich streiten.

Immer wieder erweist sich Guterson als Schriftsteller, der die Gefühle der Menschen zu beschreiben weiß, ihren Unmut, ihre Freude, ihre Wut oder auch ihre Verzweiflung. Die prägt das Leben eines Paares, dessen Sohn durch ein Unglück auf einem Schiff starb. Nun müssen sich die Eltern der Situation stellen, dass der Kapitän mit ihnen über den Unfall sprechen möchte.

Die wohl stärkste Geschichte hat sich der Autor für den Schluss seines Buches aufbewahrt. Er schildert darin den Aufenthalt eines Juden in Deutschland, der im Alter von sechs Jahren und kurz vor der Reichspogromnacht mit seinen Eltern aus Deutschland floh. Eine Woche verbringt der Mann nun mit seinem Sohn in dem Land, für das er eigentlich nichts anderes als Verachtung übrig hat.

Als Leser empfindet man tiefe Sympathie für diesen Menschen, der eine Gedenkstätte nach der anderen aufsucht, um das Unfassbare zu verstehen. Am Ende hat er sich in die Reiseführerin verguckt. Krasawize hätte man sie zu seiner Jugendzeit genannt, erzählt er. So lautete der Ausdruck für eine Klassefrau.

David Guterson: „Zwischen Menschen“. Aus dem Englischen von Georg Deggerich, Gerlinde Schermer-Rauwolf und Robert A. Weiß. Hoffmann und Campe, 208 Seiten, 19,99 Euro.

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