Alltagsnicken (1): Der Kofferträger

Gelbes Basecap mit schreiend aufgestickter Werbung, blassblaue Windjacke, stoisches Gesicht. So begegnet er mir täglich, wenn ich leicht schnaufend – da grüßen ein paar Jahresringe zu viel – die schmuddelige Treppe des Unnaer Bahnhofes erklimme und er felsengleich und unbewegter Mine auf dem ersten Absatz von oben die Wacht am Schienenstrang verkörpert. Wir nehmen einander kurzblickend wahr, benicken hastig unsere tägliche Begegnung, er wacht weiter und ich eile an den Schreibtisch.

Seit Wochen gärt in mir die unbeantwortete Frage, wer er denn sei, was er da jeden Tag unternehme, so habachtend starr stehend. Und im Tagesrauschen verliert sich diese Neugierde wieder, versickert die Entscheidung, morgen aber ganz bestimmt ihn fragen zu wollen. Und am nächsten Morgen wiederholt sich das Ganze, bei anderer Beleuchtung, bei anderem Wetter, bei anderen Gedanken.

Heute nun erhielt ich eine Antwort auf die Frage, die ich nicht stellte; der Alltag gab sie mir. Ich sah seine Mütze schon leuchten (Gelb mag ich ja nun einmal, vor allem, wenn mit Schwarz kombiniert), als ich den Bahnsteig entlang schlenderte. Bis ich in die Unterführung tauchte und mir nur hörbar ein Pärchen entgegen kam, das sich sotto voce unterhielt.

Er trug eine gelbe Mütze und seine blassblaue Windjacke, und er trug einen schweren Koffer. Sie, sehr betagt, trug leicht mühsam sich selbst, kleidsames Betagten-Beige und ein dankbares Lächeln. Er lächelte breit und froh, ein wenig stolz. Und wuchtete den Reisekoffer die Treppe hoch, dass seine Eigentümerin noch den Zug erreiche, ohne sich die Gelenke zu zerren. Mütze ab, artiger Diener und ein bescheidenes: „War doch selbstverständlich!“ So stellte ich mir ihren Abschied vor.

Er hatte sich und seinem Tag einen Sinn und Wert verschafft. Sie wird von der Begebenheit erzählen und überzeugt brusttönen, dass es nach wie vor freundliche und überaus hilfsbereite Herren gebe. Und ich verkneife mir zukünftig die Frage, sondern nicke ihm einfach zu – einem guten, alten Bekannten.

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