Skepsis und Erstarrung – Johan Simons deutet zum Triennale-Auftakt Glucks Oper „Alceste“

Foto: JU/Ruhrtriennale

Festhalten am Sitzmöbel: Der Chor MusicAeterna in Johan Simons‘ Gluck-Inszenierung. Foto: JU/Ruhrtriennale

Die RuhrTriennale hat begonnen, es ist die zweite, die Johan Simons verantwortet, und wie bereits im Jahr zuvor will sie dem idealistischen Motto „Seid umschlungen!“ folgen. Die Fokussierung auf diesen Appell aus Schillers „Ode an die Freude“, mithin auf des Dichters Humanismus, scheint dringlicher denn je. Krieg und Terrorismus, Hass und Extremismus – wer, wenn nicht ein Kunstfestival, sollte sich diesen schaurigen Auswüchsen des Zusammenlebens so trotzig wie mutig entgegenstellen.

Carolin Emcke jedenfalls, in ihrer beachtenswerten Rede zur Eröffnung des Festivals, sieht Musik, Theater und Tanz als geradezu prädestiniert an, in diesen „finsteren Zeiten“ ans Werk einer Re-Humanisierung zu gehen. Die Journalistin und Autorin, die in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält, setzt hinter die Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit dicke Fragezeichen, dies durchaus im Sinne der Triennale: Diese zentralen Begriffe der Aufklärung seien nicht nur vielfach bedroht, sondern auch im Gebrauch zu Worthülsen verkommen. Es brauche, eben mit Hilfe der Künste, eine Übersetzung dieser Normen in Anwendungen, „es müssen Begriffe in Erfahrungen übersetzt werden, damit sie vorstellbar werden in ihrer Substanz, damit wieder deutlich und nachvollziehbar wird, woraus sie bestehen“. So Emcke.

Foto: Sebastian Drüben/Ruhrtriennale 2016

Die Festspielrednerin Carolin Emcke. Foto: Sebastian Drüen/Ruhrtriennale 2016

Vor diesem Hintergrund scheint es folgerichtig, die Triennale, in Bochums Jahrhunderthalle, mit Glucks „Alceste“ (nach Euripides) zu beginnen. Bestimmen doch Trotz und Mut, Zweifel und Emanzipation das Geschehen. Der Mensch fügt sich nicht mehr ergeben ins vom Orakel und den Göttern vorgegebene Schicksal. Er stellt es in Frage, er zürnt, er liebt und leidet, dass es am Ende eben jene Götter rührt. In „Alceste“ siegt die (Gatten-)Liebe über den befohlenen Opfertod, mithin die Freiheit über den Zwang. Mag auch das glückliche Ende noch eines Deus ex machina bedürfen: Es ist immerhin Apoll, der Gott des Lichtes und der Vernunft (!), der es bewirkt.

Johan Simons indes stellt in seiner Inszenierung den aufkeimenden Freiheitsdrang der Figuren, den Trotz gegen göttliches Gesetz, in Frage. Alceste ist in ihren Gefühlsturbulenzen, denen Birgitte Christensen vielschichtige Sopranfarben verleiht, eine nahezu neurotische Figur, die die Hände ringt, zittert, verunsichert wirkt. Ihr Entschluss, den dahinsiechenden Gatten Admeto, Herrscher über das Volk von Pherai, durch ihren eigenen Tod zu retten, scheint alles andere als ein überzeugendes Liebesopfer. Admeto wiederum, den Tenor Thomas Walker mit teils nur fragiler Intensität gibt, ist in seiner emotionalen Achterbahnfahrt ziemlich hilflos.

Foto: JU/Ruhrtriennale

Eine Familie in Leidensstarre: Alicia Amo, Thomas Walker, Konstantin Bader und Birgitte Christensen fremdeln (v.l.n.r.). Foto: JU/Ruhrtriennale

Und wenn Johan Simons dieses Paar mit seinen Kindern Aspasia und Eumelo (Alicia Amo und Konstantin Bader) zusammenführt, wenn sich diese Familie in all ihrer Schwachheit und Verstörung am Boden liegend umarmt, als wolle man einander gegenseitig vor dem Untergang bewahren, scheint die Szene in Künstlichkeit zu erstarren.

Mitleid vermögen die eindringlichen Worte des Librettisten Ranieri de’ Calzabigi zu erwecken und vor allem die musikalische Sprache, nicht aber die skeptische Deutung des Regisseurs. Hinzu kommt, dass die L-förmige Spielfläche von Leo de Nijs, mit ihrer ausufernden Länge, ein schwer zu beherrschendes Terrain darstellt. Vor Kopf und längs davon die Zuschauerränge, auf der Bühne viel Gerenne, nicht zuletzt wohl deshalb, um dem Publikum hier und auch da irgendwie nahe zu sein. Musikalisch funktioniert das sowieso nur per Mikroport, szenisch behilft sich die Ausstattung teils mit weißen Plastikstühlen, die der Leere dieses Laufstegs Kontur geben sollen.

Und inmitten thront, auf einem Konstrukt von Podesten, das fulminante B’Rock Orchestra, das unter René Jacobs’ kundiger, umsichtiger Leitung der Musik Zug verleiht, sie unter Spannung setzt und Glucks neuartige Klangfarben wirkmächtig auffächert. Man gibt, auf alten Instrumenten, die italienische Fassung. Das Spiel atmet Frische, alles klingt plastisch, so feinfühlig wie intensiv, so erhaben wie dramatisch. Nur hier und da trüben rhythmische Hakeleien, in Verbindung mit dem sonst hervorragenden Chor MusicAeterna, den akustischen Genuss.

Foto: -n

Triennale-Chef Johan Simons wagt den skeptischen Blick auf Glucks „Alceste“. Foto: -n

Chor, Solisten und Stühle scheinen eng miteinander verwoben. Das Sitzmobiliar gibt den Figuren haptischen Halt wie uns manch optischen. Die Menschen klammern sich daran in ihrer Angst, oder sie schleudern es in trotziger Wut weit von sich. Johan Simons sieht wohl in der aufkeimenden Aufklärung, im Wissenwollen, einen Zustand des Chaos. Wenn indes der Chor, der in Greta Goiris’ erdachten, teils antikisierend, teils bürgerlich anmutenden Gewändern wie eine Partygesellschaft aus Sommernachtstraum-Gefilden wirkt, die Genesung ihres Königs feiert, kehrt schönste Ordnung ein. Alsbald aber versinken die Fröhlichen in Agonie, wie betäubt im Gestühl hängend, Alcestes Opfertod vor Augen.

Solcherart Symbolik eines Möbels ist bisweilen stark, nicht selten aber schimmert eben die Funktion des szenischen Behelfs durch. Interessanter ist Simons’ Skepsis, wenn er Alceste und Admeto nicht auf offener Bühne vor jubelndem Volk zusammenführt, sondern augenscheinlich im Jenseits. Und zurück bleiben die Kinder, allein mit sich und einer Welt, die es zu erkunden gilt. Zu Glucks Orchesternachspiel tanzen sie munter Ringelrein. Freiheit? Gleichheit? Brüderlichkeit? – bei Simons ein Fall für die nächste Generation?

Weitere Vorstellungen am 20., 21., 25., 27. und 28. August. www.ruhrtriennale.de

Die Festspielrede von Carolin Emcke ist hier zu finden: https://www.ruhrtriennale.de/de/blog/2016-08/vom-uebersetzen-festspielrede-von-carolin-emcke

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