„Das andere Geschlecht“ – Bundeskunsthalle erinnert an Simone de Beauvoirs Klassiker der Frauenbewegung

Simone de Beauvoir an ihrem Schreibtisch in Paris im Jahr 1945. (Foto: akg images, Denise Bellon / Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Ein rundes Datum gibt es nicht, es ist auf jeden Fall schon lange her. 1949, vor 73 Jahren mithin, erschien Simone de Beauvoirs bahnbrechendes Werk „Le deuxième sexe“, dessen Titel im Deutschen zwei Jahre später nicht ganz exakt mit „Das andere Geschlecht“ übersetzt wurde. Genau genommen eben das zweite, nicht das andere.

Die Ordnungszahl Zwei verweist schon auf die Rangfolge, die „den Mann“ seit ewigen Zeiten auf Platz eins stellt, was Beauvoirs Buch „als eine sozialwissenschaftliche und existentialistische Studie“, so die Pressemitteilung, ausgiebig referiert. Jetzt widmet die Bundeskunsthalle dem Buch und seiner Autorin eine durchaus ansprechende Ausstellung, die Katharina Chrubasik kuratiert hat.

Das intellektuelle Paris

Wie die meisten Literaturausstellungen mangelt es auch dieser naturgemäß an Exponaten. Herausragend ist deshalb ein wenige Zentimeter hoher Giacometti-Kopf, den der berühmte Skulpteur von Simone de Beauvoir fertigte. Erläuterungen und Zitate, gefällig auf die Wände appliziert, prägen den Gesamteindruck stark. Viele Fotos im zeittypischen Schwarzweiß lassen jedoch auch ein Gefühl entstehen für das wilde, aufbegehrende, intellektuelle Paris der frühen 50er Jahre, wo die Szene Jazz hörte und der Existentialismus zur dominierenden (westlichen) Nachkriegsphilosophie wurde. Eine hübsch nachempfundene Café-Bestuhlung in typischem Thonet lädt zur Rast und zum Blättern in verschiedenen Ausgaben des Buches, Übersetzungen zumal, ein.

Die erste Ausgabe von „Le deuxième sexe“ von 1949 in zwei Bänden. (Foto: Laurin Schmid, 2022 / Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Kämpferische Frauen

Trotz moderner Medien wie Video- und Hörstationen ist diese Schau natürlich eine nostalgische Veranstaltung; auch die Schwarzweiß-Fotos kämpferischer Frauen, die in der Bundesrepublik gegen den Paragraphen 218 auf die Straße gingen, sind schon 50 Jahre alt. Das wird erst anders im letzten Raum. Hier laufen Filme mit den Interviews, die Alice Schwarzer seit 1972 regelmäßig mit Simone de Beauvoir führte und die auch heute noch die Wucht spüren lassen, mit der politische Frauenthemen damals ins Öffentliche drängten. Das formale Setting mit Interviewerin und Interviewter kann und will nicht verbergen, daß die beiden Frauen gut und vertrauensvoll befreundet waren. Auch zu Beauvoirs Lebenspartner Jean-Paul Sartre bestand eine enge Freundschaft, an die sich Alice Schwarzer im Pressetermin lebhaft und streckenweise gar humorvoll erinnerte. Die Diskussionskultur des berühmten Intellektuellenpaars sei hoch gewesen, vorbildlich und entwaffnend, Widersprüche hätten sie als Material für produktive Gespräche sehr geschätzt.

Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir bei einem Cuba-Besuch 1960. Mit im Bild: Gastgeber Fidel Castro (stehend). (Foto: ullstein Bild – Pictures from History – Ionary Zeal / Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Auf dem Index

„Das andere Geschlecht“ kam bei Gallimard heraus und war ein großer literarischer Erfolg, wurde in der ersten Woche 22.000 Mal verkauft. Die erste deutsche Übersetzung folgte 1951 mit dem irgendwie doch zeittypischen Untertitel „Sitte und Sexus der Frau“. Weitere Ausgaben, so 1953 die englische, waren mitunter stark und auch sinnentstellend gekürzt. Der Vatikan, die Sowjetunion und das zu jener Zeit faschistisch regierte Spanien setzten das Buch auf den Index. Doch seine Wirkmächtigkeit bleibt ungebrochen. Seit den 1990er Jahren, wiederum sei der Pressetext zitiert, „richtet eine neue Generation von Wissenschaftlerinnen einen frischen Blick auf das Buch“ mit der Folge, daß etliche Neuübersetzungen der vollständigen Originalfassung entstanden.

Die Macht der Influencerinnen

Und heute? Den Paragraphen 218, stellt Alice Schwarzer nüchtern fest, gibt es noch immer. Und ungewollt schwangere Frauen finden immer schwerer Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Mit dem Thema „Influencerinnen“ hat sie sich beschäftigt, ist erschrocken über den Gruppendruck, der von ihnen und ihren vorgeblichen Schönheitsidealen auf Mädchen und Frauen ausgeht. Von Equal Pay wäre vielleicht noch zu reden, von der Gläsernen Decke, die weibliche Karrierechancen deckelt, und so fort. An Problemen ist mithin kein Mangel, auch 73 Jahre nach dem Erscheinen von Simone de Beauvoirs „Klassiker der Frauenbewegung“ nicht.

  • Simone de Beauvoir und „Das andere Geschlecht“
  • Bundeskunsthalle, Bonn, Helmut-Kohl-Allee 4
  • Bis 16. Oktober 2022
  • Geöffnet Di 10-19 Uhr, Mi 10-21 Uhr, Do-So und feiertags- 10-19 Uhr
  • Eintritt 5 EUR
  • www.bundeskunsthalle.de

 

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