Abschluss einer Ära: Hermann Max nimmt Abschied vom Festival Alte Musik in Knechtsteden

Hermann Max und seine Ensembles beim Eröffnungskonzert des Festivals Alte Musik Knechtsteden. (Foto: Michael Ratsmann)

Das mit den Kränzen, die den Mimen von der Nachwelt nicht geflochten werden, galt lange auch für ausübende Musiker. Erst Platten, Bänder und Speicher halten fest, was sonst ein flüchtiges Opfer der unaufhaltsam verrinnenden Zeit gewesen ist.

Hermann Max, der mittlerweile 82jährige Doyen der historischen Aufführungspraxis, hat mit vielen Rundfunk- und über 60 CD-Aufnahmen die Entwicklung seiner Klangästhetik dokumentiert, noch vor den ersten Anfängen des 1992 von ihm gegründeten Festivals Alte Musik Knechtsteden  bis in die Gegenwart – mit einem Passionsoratorium von Gottfried Heinrich Stölzel im Jahr 2021. Die Nachwelt hat also die Chance, die von Friedrich Schiller bedauerten fehlenden Kränze zu flechten.

Nun nimmt Hermann Max Abschied von „seinem“ Festival und lässt in acht Konzerten noch einmal die Musikerdynastie der Bachs feiern. Neben den berühmtesten aus allen „Bächen“, Johann Sebastian, treten Vorfahren, Verwandte und Nachkommen aus dem 16. bis in 19. Jahrhundert. Natürlich mit von der Partie sind die von Max gegründete „Rheinische Kantorei“ und „Das kleine Konzert“. Eröffnet hat der Bach-Medaillenträger des Jahres 2008 seine letzte Konzertreihe mit einem „Familientreffen“ der Bachs: Johann Christoph, Johann Ludwig, Carl Philipp Emanuel, Johann Christian, Johann Christoph Friedrich, Wilhelm Friedrich und natürlich Johann Sebastian fanden sich zusammen zu einem festlichen Pasticcio großartiger Musik. Ein Programm, das für eine der Leitlinien im Musikerleben Max‘ steht: Verschollenes entdecken, auf Rares aufmerksam machen, Unterschätztes ins rechte Licht rücken.

Aus der Verwandtschaft Bachs

Schauplatz der meisten Festivalkonzerte ist die romanische Basilika von Knechtsteden. (Foto: Werner Häußner)

In diese Linie gehört auch das Konzert in der Wochenmitte, bei dem in der romanischen Basilika der ehemaligen Prämonstratenserabtei Knechtsteden (auf dem Gebiet der Gemeinde Dormagen) Motetten von Bach-Familienmitgliedern erklangen. Rund 150 Lebensjahre durchmessen die sechs aufgeführten Motetten, die bei Begräbnissen bedeutender Persönlichkeiten gesungen wurden und entsprechend Themen von Trauer, Trost, Trübsal und Hoffnung behandeln. In allen Werken ist spürbar, wie hoch entwickelt die Komponisten das Wort-Ton-Verhältnis gestalten, wie sehr ihnen die Aussage der Texte am Herzen liegt, und wie bestrebt sie sind, in kunstvoller Anlage der Musik zu ihrem Recht zu verhelfen.

Der älteste der aufgeführten Meister ist Johann Christoph Bach, den Johann Sebastian als einen „profonden Componisten“ schätzte. 1642 in Arnstadt als Sohn von Heinrich Bach geboren und 1703 in Eisenach verstorben, hinterließ er rund ein Dutzend Motetten. „Der Gerechte, ob er gleich zu zeitlich stirbt“ ist im sogenannten Altbachischen Archiv überliefert. Die Ruhe des „Gerechten“ wird in der getragenen Einleitung versinnbildlicht, wenn er gleichsam unter einem großen musikalischen Bogen gelegt ist. „Er gefällt Gott wohl und ist ihm lieb“ schildert dann in aufsteigender Bewegung auch die Freude, endlich aus dem „bösen Leben“ zu enteilen.

Ob die Motette „Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn“ von Christoph oder von Johann Sebastian Bach stammt, ist nicht klar, denn in Leipzig wurden unter Bach auch Werke von Johann Christoph aufgeführt. Die an den Vatergott gerichteten Worte aus dem Buch Genesis des Alten Testaments werden theologisch neu interpretiert, wenn sie mit dem Einwurf „mein Jesu“ auf den Erlöser der Christen hin bezogen werden. Die herbe Harmonik dieses Werks fällt auf: Der Ernst der Bitte drückt sich in der Musik aus.

Ausgeprägte Persönlichkeiten

Edzard Burchards leitet das Motettenkonzert in Knechtsteden. (Foto: Michael Ratsmann)

Bestens dokumentiert und eindeutig Johann Sebastians Feder entsprungen ist „Der Geist hilft unser Schwachheit auf“. Die Musik hat wenig vom getragenen Trauerpathos des 19. Jahrhunderts, sondern ist leicht und lebhaft: Der „Geist“ ist eben nichts Statisches, sondern bewegte Energie und inspirierender Beweger. Der Inspirator am Pult, Edzard Burchards, verdeutlicht das durch straffe Tempi; die reiche Polyphonie mündet am Ende in ein leuchtend harmonisches Halleluja.

Wie unterschiedlich sich trotz der Konventionen der geistlichen Musik der persönliche Stil des jeweiligen Komponisten ausformt, macht die Motette „Wir wissen, so unser irdisches Haus dieser Hütten zerbrochen wird“ von Johann Ludwig Bach deutlich. Der entfernte Verwandte des Leipziger Thomaskantors, 1677 in Thal bei Eisenach geboren, war bis zu seinem Tod 1731 Kapellmeister am Hof zu Meiningen. Elf Motetten aus seiner Hand sind in der Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek überliefert. Ludwig Bach macht aus dem Gegensatz der irdischen Hütten zu den verheißenen himmlischen Wohnungen ein expressives Mini-Drama: „Wir wissen“ erklingt betont, in einer Generalpause wird die melodische Linie gekappt und das Wort „zerbrochen“ tatsächlich in zwei Teile gespalten.

Carl Philipp Emanuel Bach, das zeigt die vierstimmige Motette „Oft klagt dein Herz, wie schwer es sei, den Weg des Herrn zu wandeln …“, gehört dann einer anderen Zeit an. Nicht mehr die kontrapunktische Arbeit, die lebendige Polyphonie stehen im Vordergrund. Er vertraut den Ausdruck der Melodie an, auf der die Worte kontinuierlich getragen statt im Einzelnen musikalisch ausgedeutet werden. Das Pathos etwa der Opern Christoph Willibald Glucks oder Antonio Salieris ist nahe.

Das Solistenensemble der Rheinischen Kantorei und die Continuo-Gruppe von „Das kleine Konzert“. Foto: Michael Rathmann

Das Solistenensemble der Rheinischen Kantorei mit acht Sängern widmet sich diesen unterschiedlichen musikalischen Stilen so engagiert wie kompetent. Burchards hatte sich entschieden, die Motetten nicht – nach dem Ideal des 19. Jahrhunderts – unbegleitet singen zu lassen. Er lässt die Stimmen von der Continuo-Gruppe von „Das kleine Konzert“ begleiten. Sibylle Huntgeburth (Cello), Miriam Shalinsky (Violone) und Johann Liedbergius (Orgel) sind einfühlsame Partner des Gesangsensembles: Die begleiteten Stimmen klingen runder, die harmonischen Verläufe wirken wie von Brokat umkleidet, auch einzelne Schärfen oder Missverhältnisse in der Balance werden ausgeglichen.

Die Flexibilität der Stimmen, die Intonation, die Expressivität des Wortes, die noble Emphase des Klangs, die Präzision in Fugen und polyphonen Abschnitten sind auf dem professionellen Niveau, das man von Hermann Max‘ Ensembles gewohnt ist. Lediglich der Sopran tut sich schwer, sich in den Klang einzufügen: Forcierte, grell und flach gesungene hohe Töne stören die Balance. – Zum Abschluss des Programms trug „Jesu meine Freude“ in kunstvoller Ausformung zur Freude der Zuhörer in der Basilika bei, die nicht zuletzt auch Flóra Fábri mit vier Duetten aus der „Clavier Übung“ Johann Sebastian Bachs vital befeuerte: Ihr nobles Spiel an der Truhenorgel war eine willkommene „Gemüths Ergezung“.

Seinen Abschied nahm Hermann Max am Samstag, 23. September, in einem festlichen Konzert in der Abteikirche, das vier Kantaten aus dem Frühwerk Bachs vor seiner Leipziger Zeit vorstellte – krönender Abschluss einer Festival-Leitung, die man getrost als Ära bezeichnen darf.

Das Festival Alte Musik in Knechtsteden (Gemeinde Dormagen) findet alljährlich im September statt. Info: https://knechtsteden.com/

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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