Zwischen Bühne und Familie – Jörg Hartmanns Chronik „Der Lärm des Lebens“

Gibt es überhaupt noch Fernsehprominenz ohne Buchveröffentlichung? Schwerlich. Jetzt ist endlich auch Jörg Hartmann (weithin bekannt als Dortmunds zur Depression neigender „Tatort“-Kommissar Faber) an der Reihe.

Bühnen- und Filmschauspieler, Dortmunder „Tatort“-Kommissar Faber und jetzt Buchautor: Jörg Hartmann. (Foto: © Silvia Medina)

Bei seinem Buch „Der Lärm des Lebens“ handelt es sich um eine streckenweise sehr nachdenklich und zuweilen melancholisch, zwischendurch aber auch süffig erzählte Autobiographie. Eine lebensnahe Mixtur also, die vom etwas aufdringlichen Titel (Stichwort „Lärm“) gar nicht so recht erfasst wird.

Zungenschlag des östlichen Ruhrgebiets

Der 1969 im westfälischen Hagen geborene Hartmann ist im eher beschaulichen Herdecke bei Dortmund aufgewachsen. Wann immer er auf diese Vergangenheit zurückblickt oder spätere Besuche bei den Eltern schildert, gibt er die Dialoge in der charakteristischen Mundart des östlichen Ruhrgebiets wieder. Dabei stimmt nicht nur der Zungenschlag, auch die „Seele“ des Gesprochenen und der Sprechenden kommt glaubhaft hervor. Als in Dortmund aufgewachsener Mensch kann ich’s bezeugen. Stellenweise erzählt Hartmann auch hinreißende Dönekes mit Revier-Anklang: Wer hat denn nur einst die „Eier“ am Pferd des Kaiserdenkmals auf Dortmunds Hohensyburg poliert? Hier erfährt man’s. Übrigens haben zeitweise auch Roy Black und – viel später – Jürgen Klopp in Herdecke gelebt. Hätten Sie’s gewusst?

Zur Sache: Die zeitlich hin und her pendelnde Handlung setzt mit einem großen Traum des jungen Mannes ein, der dringlich bei der großen Regisseurin Andrea Breth an der Berliner Schaubühne vorsprechen und möglichst engagiert werden will. Wie das abläuft, wird hier nicht verraten. Zu jener Zeit ist Stuttgart Hartmanns Lebensmittelpunkt, die Alternativen am Theater heißen Wuppertal und Meiningen. Als dann noch der Mauerfall hinzukommt, erscheint Berlin demgegenüber noch attraktiver. Man kann’s nachvollziehen, wenn auch die Berlin-Schwärmerei mitunter ein wenig nervt.

Theater-Laufbahn mit Umwegen

Ein Umweg der Laufbahn führt über die Münchner Kammerspiele, wo Hartmann die Bühnen-Granden Thomas Holtzmann und Rolf Boysen um Beihilfe, Zuspruch und Fürsprache bitten möchte. Holtzmann ist quasi unansprechbar, Boysen erteilt immerhin telefonisch knappen, aber weisen Rat. Derweil wittert der gleichfalls schon etablierte Ulrich Matthes in seinem vermeintlichen „Doppelgänger“ Hartmann (nanu?) offenbar unliebsame Konkurrenz. In Berlin wird ihm Hartmann abermals begegnen…

Bis Jörg Hartmann tatsächlich eines Tages an der Schaubühne (ab 1999 unter Leitung von Thomas Ostermeier) reüssiert, dauert es seine Zeit. All die vorherigen Fährnisse lassen ahnen, dass der Berufseinstieg junger Schauspieler(innen) wahrlich mühselig ist und nicht nur vom Talent, sondern auch von Glücksumständen abhängt. Ohnehin hadert Hartmann auch hernach immer mal wieder mit der Profession, die ihn geradezu aufzufressen droht. Heute Lyon oder Brüssel, morgen Prag, irgendwann auch ein Gastspiel in Shanghai. Da kann man sich durchaus verlieren. Und das Privatleben leidet auch erheblich.

Pommesbude nach Feierabend

Ein zweiter Handlungsstrang ist Hartmanns Familie gewidmet, besonders seinen Eltern und hier wiederum vornehmlich dem Vater, der mit fortschreitendem Alter an Demenz leidet und vor der Zeit stirbt. In Herdecke und darüber hinaus war der Vater (Handwerksmeister im Stromwerk, phasenweise nach Feierabend Betreiber einer Pommesbude, außerdem bestens vernetzter Handball-Freak) bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund, was Jörg Hartmann mit einigen Anekdoten zu unterfüttern weiß.

Zunehmend rücken auch Hartmanns Frau und die drei Kinder in den Blickpunkt, womit die Handlung (seine Großeltern inbegriffen) vier Generationen umfasst, was wiederum zeitgeschichtliche Bezüge mit sich bringt – bis hin zur Gehörlosigkeit der Großeltern, die schon allein wegen dieses Leidens unter bedrohlicher Beobachtung der Nazis standen.

Es mag keine große, wortmächtige Literatur sein, die Jörg Hartmann verfasst hat, doch ist es eine durchaus achtbare Chronik der laufenden Ereignisse aus dem Bühnen- und Familienleben. Ein Gipfelpunkt wird, wie es sich wohl gehört, gegen Ende erreicht, als Hartmann eine blasierte Kita-Party bei stinkreichen Eltern in Berlin beschreibt. Da freut man sich inständig, dass man nicht dabei sein musste.

Jörg Hartmann: „Der Lärm des Lebens“. Rowohlt Berlin. 300 Seiten. 24 Euro.

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Lesungen (Auswahl – Einzelheiten bitte per Suchmaschine o. ä. ermitteln)

12. März Berlin (20 Uhr)
14. März Dortmund (19.30 Uhr / ausverkauft)
21. März Leipzig (10, 11, 15, 17 und 20.30 Uhr – Buchmesse)
6. April Münster (20 Uhr)
7. April Unna (18 Uhr)
11. April Gladbeck (19.30 Uhr)
13. April Menden (19 Uhr)
9. Juni Herdecke (18 Uhr)
29. Juni Essen (20 Uhr)

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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