Niederlage etc.

Ich muss mir doch noch mal kurz Luft machen, nachdem dieses unselige Spiel Italien – Deutschland halbwegs verdaut ist. Wie Rilke schon schrieb: „Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles.“

Nein, kein Wort hier zu Löws Aufstellung und „Taktik“. War da was?

Statt dessen dies:

a) Geradezu bestürzend überflüssig finde ich wohlmeinende Ratschläge von Hobbypädagogen, die einem nun beibringen möchten, wie man mit einer solchen Niederlage umgehen soll. Ach du jemine! Sie wollen, dass man etwas fürs Leben davon hat. Sie haben einen säuselnden Tonfall. Sie blüüüüühn im Glanze ihrer Weisheit. Meinetwegen können wir das auch noch mal singen.

b) Ein weiteres Deutungsmuster elend bemühter Geister besagt, dass durch die deutsche Niederlage eine neuerliches Aufkeimen unguter nationalistischer Tendenzen mit knapper Not verhindert worden sei. Anderfalls wäre womöglich noch mehr geflaggt und gewimpelt worden. Man denke nur! (Anmerkung: Auch mir geht die Sommermärchen-Seligkeit mitunter gehörig auf die Nerven – und besoffen grölende Horden sowieso). Merke: Mit einem solchen Spiel hat sich außer der Endspielteilnahme rein gar nichts erledigt.

Partyzelt leer, Fahne erschlafft (Foto: Bernd Berke)

Partyzelt leer, Fahne erschlafft (Foto: Bernd Berke)

c) Laue Beschwichtigungssprüche vom Kaliber „Der Bessere möge gewinnen“ haben mich seit jeher nicht beruhigt, sondern eher auf die Palme gebracht. Natürlich ist ein schönes Spiel besser als ein schlechtes, wer hätte das gedacht. Aber ich möchte doch mein Herz an etwas hängen, parteilich sein (selbst wenn Benin gegen Grönland spielen sollte) und mich königlich aufregen dürfen, wenn die blöde Realität den Präferenzen zuwider läuft. Mal ganz abgesehen von einem Phänomen wie der affektgeladenen Affinität zu Borussia Dortmund, die aus Kindertagen herrührt und somit tief sitzt.

d) Wenn ich mich gleichsam interesselos an figürliche Schönheit halten wollte, so könnte ich mich an Dressurreiten oder Sychronschwimmen ergötzen. Oder ich gäbe mich schrankenlos dem Hallenhalma hin.

e) Außerdem gibt es ja noch all die schönen Künste.

f) Was ich noch zu sagen hätte: Einen Countdown vor dem Anstoß, wie bei der EM Usus, muss man wahrlich nicht haben. Zahl und Umfang der Spieler-Tätowierungen haben signifikant zugenommen, es war nicht zuletzt ein Tattoo-Turnier. Das Fußballblüten-Logo vor und nach den Zeitlupen war eine ständige Zumutung. Und die Kommentare im Fernsehen? Frage niemand!

g) Schon jetzt erfasst einen Ach und Weh, wenn man daran denkt, zu welchen Uhrzeiten die WM-Spiele 2014 aus Brasilien übertragen werden…

h) Und damit gut.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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7 Antworten zu Niederlage etc.

  1. Michaela sagt:

    D’accord – completamente! (Für mich käme allenfalls eine Alemanniaflagge in Frage, schon aus Trotz …)

  2. Bernd Berke sagt:

    Ich habe mein Lebtag noch keine D-Fahne besessen geschweige denn gehisst. Auch gedenke ich nicht, diesen Zustand jemals zu ändern.
    Ich werde mir aber auch keine Flaggen anderer Länder zulegen. Und von der landläufigen, stets sprungbereiten, im Grunde erzdeutschen Zerknirschung halte ich auch nicht viel.

  3. Michaela sagt:

    Meine italienischen Nachbarn haben übrigens nicht geflaggt – und auch nicht die ganze Donnerstagnacht hindurch gefeiert. Das war schon angenehm.

  4. Bernd Berke sagt:

    Und wenn nun die ebenso wohlfeile wie allfällige „Schland“-Beschimpfung ebenfalls Selbstgeißelung wäre…?

  5. Anke Demirsoy sagt:

    Erst breit auftretende Großmannssucht, dann maßlose Selbstgeißelung und gehässige Trainerkritik. Willkommen in „Schland“…

  6. Bernd Berke sagt:

    Das eben wäre die hohe Schule: zu Zeiten wütend sein und dennoch lächeln können.

  7. Connie sagt:

    Sie haben vergessen, daß Sie sich auch lächelnde Nachrichtensprecher in Zeiten solcher Niederlagen verbieten ;=)

    ich finde das alles dermaßen albern, daß ich mir jeder Belehrung enthalte, Fußball-Fans kann man nicht belehren, die muß man als Nicht-Fußball-Fan erdulden

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