Von Bernd Berke
Dortmund. Daß er in erster Linie Maler, konnte Christiaa Rohlfs (1849-1938) auch nicht verleugnen, wenn er sich druckgraphischen Techniken zuwandte. Während andere Künstler ihre graphischen Arbeiten in mehr oder weniger hohen Auflagen herstellten, wahrte Rohlfs fast immer die Aura des Originals und beließ es jeweils bei einem Druckabzug. Dann freilich variierte er die Motive durch Übermalungen und Uberzeichnungen vielfach.
Einen staunenswerten überblick zum gesamten (!) Motivumfang des graphischen Werks von Rohlfs, der lange Jahre in Hagen lebte, kann man sich nun im Dortmunder Ostwall-Museum verschaffen (Eröffnung: Sonntag, 17 Uhr; Dauer der Ausstellung: bis 7. Februar). Maßgeblich an der Auswahl beteiligt sind die Dortmunder Galerie Utermann, das Essener Folkwang-Museum (dorthin wandert die Ausstellung im April 1988) und nicht zuletzt die 96jährige Rohlfs-Witwe Helene, die allein 40 rare Arbeiten zur Verfügung stellte. Die Künstlerwitwe will zur Ausstellungseröffnung erscheinen.
185 druckgraphische Arbeiten von Rohlfs, dazu rund 60 Übermalungen und „Zustandsdrucke“ (gleichsam Zwischenresultate der Arbeiten) sind in Dortmund zu sehen. Mit dieser beispiellos umfangreichen Zusammenstellung bleibt das Ostwall-Museum einmal mehr seinen Traditionen treu: Dem Schwerpunkt der Dortmunder Sammlungsbestände entsprechend, liegt auch bei Rohlfs der Hauptakzent auf expressionistischen Seh- und Darstellungsweisen; zudem ergibt sich bei ihm ein ausgeprägter Regionalbezug (Hagen, Soest).
Interessant ist vor allem, wie ein- und dasselbe Motiv durch farbliche und sonstige Überarbeitung ganz unterschiedliche Qualitäten und Gefühlswerte entfalten kann. Dies gilt zum Beispiel für eines der Spitzenstücke der Ausstellung, die 1918/19 entstandene Serie „Der Gefangene“, von der auch Original-Holzdruckstöcke gezeigt werden. Die auf die denkbar knappste Formel gebrachte Leidenssituation – ein ausgemergelter Mensch zwisehen vier Gitterstäben – wirkt je nach Variante einmal ganz und gar trost- und hoffnungslos, dann wiederum so, als könnte dieser „Gefangene“ die Stäbe augenblicklich zerbrechen und sich befreien. Auch die sechs Varianten des Motivs „Singvogel“ (um 1912; ein Bauer im „Gespräch“ mit dem Tier) zeigen immer neue Facetten desselben Themas.
Ausstellung und Katalog (30 DM) werden durch die Dokumentation verschiedenster Bearbeitungsformen fast zu Kompendien dieser Techniken. Und: Von religiösen und Todesmotiven bis hin zu ganz und gar heiteren Themen, von frühen Jugendstil-Anklängen über die breite Bahn des Expressionismus bis hin zu Aufschwüngen in den Symbolismus kann man das ganze inhaltliche und stilistische Spektrum Rohlfs‘ nachvollziehen.