Dichtes und konzentriertes Schauspielertheater – Ibsens „Gespenster“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Schon Theatertradition hat die Spöttermeinung, nach der mit dem medizinischen Fortschritt ein Großteil der Konflikte in Henrik Ibsens „Gespenster“-Drama sich von selbst erledigt hätte. Das schlimme Erbteil des alten Lüstlings Alving, der seinem Sohn Osvald Syphillis und Hirnparalyse „vermacht“, hätte quasi ausgeschlagen werden können, und der ganze Familienabgrund, den dieses 1881 uraufgeführte Stück aufrührt, wäre bedeckt geblieben.

Man muß gar nicht an „Aids“ denken, um dem Stück neue Aktualität aufzuzwingen. Es handelt natürlich nur nebenbei auf medizinischer, vor allem aber auf psychologischer und gesellschaftlicher Ebene von den „Gespenstern“ einer Vergangenheit, die „nicht einmal vergangen ist“, mächtig das Heute überschattet und „späte Geburt“ eher zum Fluch macht.

Ulrich Greiffs Wuppertaler Inszenierung riskiert keine Neudeutung, sie ist konventionell wie ihr Bühnenbild (Rosemarie Krines), das Ibsens Anweisungen sehr getreulich folgt und so ähnlich schon vor Jahr und Tag hätte gebaut werden können. Greiff erliegt diesmal nicht den Versuchungen jener Art von Regietheater, mit dem er schon manches Mal Schiffbruch erlitten hat; er stützt sich hier ganz auf die Schauspieler. Und siehe da: es wird gutes Schauspielertheater, wie man es in dieser Dichte und Konzentration in Wuppertal lange nicht gesehen hat. Guten Gewissens kann man diesmal auch von wirklicher „Sprechkultur“ reden, die die Aufmerksamkeit zusätzlich in Bann schlägt.

In einer langen Reibe von „Aussprachen“ wird der Kampf der tödlichen Wahrheiten wider die verlogenen Ideale ausgetragen, wird das Trugbild der gutsituierten Familie Alving gnadenlos demontiert: Hervorragend Lin Lougear als Witwe Helene Alving, die stets bedrohte Balance zwischen Stolz und Verzweiflung haltend; auch Siegfried Maschek als Osvald hütet sich, die Anzeichen seiner Hinfälligkeit zu sehr zur Schau zu stellen. Günther Delarue als „Tischler Engstrand“ – ein Kabinettstück dummschlauer Verschmitztheit, etwas auch von jener Uneindeütigkeit einlösend, die Ibsen mit seiner legendären Antwort auf die Frage erzielte, ob denn Engstrand das Kinderasyl der Helene Alving in Brand gesteckt habe: „Zuzutrauen wär’s dem Kerl schon!“

Gerd Mayen als „Pastor Manders muß eine schwierige Gratwanderung absolvieren; allzu gestrig wirken die ordnungsfrommen Sittenthesen Kirchenmannes, so daß stellenweise Gelächter im Zuschauerraum aufkommt. Doch es wird auch deutlich, daß Manders ein großes Kind ist, das an Idealen hängt wie an Rockzipfeln; nur sind es die falschen, und der ganze Mann ist bemitleidenswert.

Es gab langen, herzlichen, beinahe erleichterten Beifall. Im Publikum klafften größere Lücken. Haben manche, nach der Kündigung des Wuppertaler Intendanten, das Theater bis auf weiteres aufgegeben?

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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