Konflikte aus der Ferne: Adelheid Müther inszeniert Hebbels „Maria Magdalena“

Von Bernd Berke

Wuppertal. Friedrich Hebbels „Maria Magdalena“ ist weniger ein Schau-Spiel als ein Sprach- und Denkstück, das in der stickigen Enge rigoroser Moral nicht theatralisch bildreich erblüht, sondern in oft doppeldeutigen, ja fast sphinxhaften Redefiguren befangen bleibt, die mehr Gefühle verbergen als erhellen.

Auch der Konflikt – eine „Affäre“ mit Schwangerschaftsfolge, aber ohne Ehe-Absicherung bedeutet unweigerlich den gesellschaftlichen Tod – liegt uns fern. Adelheid Müthers sehenswerte Wuppertaler Inszenierung des (klein)-bürgerlichen Trauerspiels läßt denn auch keine falsche Nähe aufkommen. Am Beginn und am Schluß erklingen kurze Opern-Ausschnitte – ein „Rahmen“, der das Stück wie ein museales Bild einfaßt und „wegrückt“. Auch vor dem Pathos tragischer Tode hütet man sich. Gestorben wird da ganz achtlos und beiläufig; ein oder zwei bewußt überkünstelte Gesten, dann ist es geschehen.

Gleich beim ersten Auftritt des strengen Familienvaters und Tischlermeisters Anton (Gerd Mayen) ist das Verhängnis für seine Tochter, die „Sünderin und Büßerin“ Klara (daher das biblische „Maria Magdalena“), absehbar. Mayen spielt einen alten Patriarchen, der sogleich die Stühle im Haus zu fürchterlich steriler Ordnung zurechtrückt. Mit jeder Bewegung schafft er einen Raum und eine Atmosphäre um sich, als befinde man sich schon im Totenreich. Verbliebene Gefühlsregungen (so, wenn er seine Frau und Tochter eigentlich streicheln möchte) verbietet er sich mit ruckhaftem Zurückweichen. Der kümmerliche Rest von Zärtlichkeit verbindet sich mit seiner Handwerksehre: Liebevoll streicht er über den Holztisch, den er selbst angefertigt hat.

Sabine Schwanz als Klara wirkt gerade nicht hinfällig, devot und bußfertig, sondern bis zum Schluß eher gesund, realistisch und entschlußkräftig. Sie geht in den Tod, weil sie sich das genau überlegt hat, nicht kopflos. Ihr Bruder Karl (herausragend: Holger Scharnberg), der aus dem muffigen Elternhaus ausbrechen will, tritt als Mischung aus frühem Aussteiger und „Penner“ mit Weinflasche und zerknittertem Mantel auf. Uns Zweckrationalisten von heute am nächsten steht jedoch der Verführer „Leonhard“ (Gregor D. Höppner), der sonst oft als ausgemachter Schurke die Bühne betrat, hier jedoch durchaus „vernünftig“ für sein Fortkommen sorgt. Nicht abgründig böse ist er, allenfalls angekränkelt von Karriere-Blässe. Nicht nur hier erreicht die Deutung eine zeitgerechte Dimension, und zwar ohne vordergründig-brachiale Aktualisierung.

Die zum Zuschauerraum hin abschüssige, sparsam möblierte Holzdielen-Bühne (Lilot Hegi), auf der der zeichenhaft angedeutete Hauseingang windschief steht, als sei er allen Elementen schutzlos ausgeliefert, ist die schiefe Ebene, auf der gleichsam das Schicksal sich beschleunigen kann.

Es gab verdienten Beifall für Regie und Ensemble.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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