Den Verbiesterten nützt keine Kunst – Woody Allens Film „Hannah und ihre Schwestern“

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Um es gleich vorwegzunehmen: In seinem neuen Film „Hannah und ihre Schwestern“ (Bundesstart: 2. Oktober) spielt Woody Allen – im Gegensatz zu „Purple Rose of Cairo“ – wieder selbst mit, und er ist ganz der Alte.

Hannah, Lee und Holly heißt das Schwesterntrio, das zwischen drei US-typischen Truthahn-Schlemmereien zum „Thanksgiving Day“ (also zwei Jahre lang) sich im Netz der Beziehungsprobleme verfängt. Hannah (Mia Farrow), die Besonnene, strahlt so viel innere Kraft aus, daß ihr Mann Elliot (Michael Caine) sich mal wieder nach einem süßen, hilfsbedürftigen Mädchen sehnt, das in einer Beziehung weniger „gibt“ als „nimmt“. Dies Wesen findet er in Hannahs Schwester Lee (Barbara Hershey), die wiederum ihrem total verbitterten Mann entfliehen will, einem in Weltabgewandtheit und Lebensekel versinkenden Künstler. Die dritte Schwester heißt Holly (Dianne Wiest) und verdingt sich mal als Chefin bei einem Partyservice, mal als freischwebende Show-Existenz. Aus dem nämlichen Gewerbe kommt Mickey (Woody Allen), Neurotiker und Hypochonder von Graden, derwiederum in erster Ehe mit Hannah verheiratet war. Welch ein Reigen!

Es ist wie verhext: Man faßt sich, man läßt sich, nichts will sich wirklich zueinander finden. Eine langwierige „Schule des Glücks“, in der es vor allern um Klärung und Erprobung der eigenen Bedürfnisse geht: Hannah muß erst entdecken, daß sie überhaupt Wünsche zugeben darf, Lee muß herausfinden, welche sie hat, und Holly muß ihre allzu hoch gesteckten Erwartungen erst auf Alltagsniveau schrauben. Den Männern ergeht es ähnlich. Daß solche Auseinandersetzungen trotz Film-Happy-End nie aufhören, lassen Seitenblicke auf die streitbaren Eltern Hannahs ahnen. Die zerzausen einander nach -zig Jahren Ehe immer noch.

Der erlösende Schluß kommt nicht von ungefähr, sondern erst, nachdem Mickey (Allen) sich aus Selbstmordgedanken emporgearbeitet hat und – anläßlich eines „Marx-Brothers“-Films – erkennt, daß es zunächst auf eine allgemeine Lebensbejahung ankommt, bevor Probleme gewälzt werden. Fazit: Den Verbiesterten, wie Frederick, nützen weder Kunst noch Erkenntnis.

Natürlich zitiert Allen in diesem (mit Musik von Oper bis Jazz und Rock garnierten) Film wieder Philosophen, natürlich treibt er seine Scherze mit sexuellen Frustrationen, auch schwebt er wieder in Todesängsten (Verdacht auf Gehirntumor) und begibt sich auf verzweifelte Gott- und Sinnsuche. Doch wie leicht und menschlich, wie so gar nicht verquält ist dies alles.

Und: Allen beweist erneut seine Fähigkeit, genau die richtigen Darsteller zum rechten Zeitpunkt aufeinandertreffen zu lassen∞ solche, zwischen denen es „knistert“ oder zwischen denen sich etwas unvergleichlich befreiend löst.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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