Neue Grenzen zwischen Kunst und Leben – zum Tod von Joseph Beuys

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Wenn einer einem toten Hasen die Bilder einer Ausstellung erklärt; wenn einer Waschpulver in ein Klavier schüttet oder eine „Honigpumpe“ baut – ist er dann Vorbote eines neuen „magischen Zeitalters“ oder ein Scharlatan? Das haben sich viele gefragt, die mit der Kunst von Joseph Beuys konfrontiert wurden. Seinem Werk widerfuhren Huldigung, aggressive Abwehr, amüsiertes Gelächter, bares Unverständnis.

Des Rätels Lösung ist denkbar einfach, fast so schlicht, wie manche Beuys-Objekte (die meist nur im Zusammenhang mit vorangegangenen Aktionen verständlich sind): Es i s t Kunst, die sich aber, weil sie die Grenzmarken zwischen Kunst und Leben irritierend neu gesetzt hat, nicht kurzerhand erschließt.

Als der am 12. Mai 1921 in Kleve geborene Kaufmannssohn, am 12. Januar 1986 – es war sein letzter öffentlicher Auftritt – den Lehmbruck-Preis der Stadt Duisburg entgegennahm, trug er natürlich den Filzhut, sein „Markenzeichen“. Filz und Fett waren Grundstoffe vieler seiner Arheiten. Filz, das bedeutet (auch menschliche) Wärme, deren Speicherung zumal. Fett steht gleichfalls für ein energiespeicherndes Prinzip.

Vorratshaltung zum Überwintern in kalten Zeiten, Aufbrechen bankrotter Rationalität, Schaffung neuer Mythen – so könnte man die Ziele schlagwortartig skizzieren. Nicht nur Beuys‘ naturwissenschaftliche Studien fuhrten zu solchen Ausdrucksmitteln, sondern vor allem jenes Urerlebnis des Jahres 1942, als der Stuka-Flieger Beuys über sowjetischem Gebiet abstürzte, von Einheimischen gerettet und dabei in Filzdecken gehüllt wurde.

Ein Star des Marktes und der Medien

Beuys, ab 1949 als Schüler von Ewald Mataré an der Düsseldorfer Kunstakademie, war auch ein Star des Marktes und der Medien. Ein von ihm mit Filz beklebter Flügel, 1967 für 10.000 DM verkauft, war einem Käufer 1974 schon 200.000 DM wert. Zusammen mit Andy Warhol führte Beuys denn auch bald eine imaginäre „Weltrangliste“ höchstdotierter Künstler an. Bei Gelegenheit seiner zuletzt raren Auftritte, wie etwa bei der Düsseldorfer Ausstellung „Von hier aus“, bildeten sich sogleich Trauben von Presse- und Fernsehleuten um ihn.

Zuweilen hatte es komische Qualität, wie seine Kunst sich dem Leben näherte, mit ihm in (oft produktive) Reibung geriet: Die Geschichte von den Reinmachfrauen, die aus einer Beuys-Badewanne die Heftpflaster entfernten und die Wanne gründlich schrubbten, erheiterte die Kunstwelt.

Entlassung durch Johannes Rau

Ernstere Schlagzeilen machte seine Entlassung als Lehrer an der Düsseldorfer Kunstakademie, an der er seit 1961 tätig war und bis zu 350 Schüler betreute, die heute zum großen Teil die Szene bestimmen. Im Oktober 1972 kündigte der damalige NRW-Wissenschaftsminister Johannes Rau Beuys‘ Vertrag fristlos, weil der mit abgewiesenen Bewerbern die Akademie besetzt hatte. Der Rechtsstreit dauerte bis 1978.

1974 gründete er, zusammen mit seinem Freund Heinrich Böll, die „Freie internationale Hochschule für Kreativität“. Grundlage war Beuys‘ Bekenntnis: „Jeder Mensch ist ein Künstler“.

1979 richtete das New Yorker Guggenheim-Museum Beuys als erstem lebenden deutschen Künstler eine umfassende Retrospektive aus, womit er endgültig zum Klassiker der Spätmoderne wurde. Beuys betätigte sich mit großer Beharrlichkeit auch auf politischem Feld. 1967 war er bei der Gründung der „Deutschen Studentenpartei“ dabei, 1972 rief er die „Organisation für direkte Demokratie“ ins Leben, 1976 die „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher“. 1980 war er Bundestagskandidat für die „Grünen , von denen er sich jedoch jüngst wieder distanzierte.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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