Gegenbilder zur Adenauer-Ära – Werke von Ernst Wilhelm Nay in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Was den Marktwert anbelangt, könnte man Ernst Wilhelm Nay plakativ als „Joseph Beuys der 50er Jahre“ bezeichnen. Er gehörte seinerzeit zum „festen Stamm“ der Kasseler documenta, auch auf der Kunst-Biennale in Venedig war er vertreten.

Mittlerweile, nachdem einige Dutzend Stile, Moden und -ismen an der Kunstwelt vorübergerollt sind, ist er zwar nicht in Vergessenheit, wohl aber an die Ränder des Erinnerns geraten. Diesem Zustand will jetzt, mit subjektiv-eigenwilligen Akzenten, eine Ausstellung des Kunstvereins Münster abhelfen.

Ausschließlich aus privaten Sammlungen stammen die 48 Bilder, die einen Querschnitt durch alle Werkphasen (1932 bis in Nays Todesjahr 1968) geben. Zu verfolgen ist ein beständiges Ringen um eine quasi „musikalische“ Rhythmisierung und Öffnung der Bildfläche durch einen zunehmend stärkeren Eigenwert der Farb-Komposition.

Bildtitel wie „Schwarze Rhythmen rot zu grau“ (1952), „Tanzende Perlen“ (1953), „Swing“ (1953) und „Rondo“ (1958) deuten in Richtung musikalischer Ausdruckswerte. Welch ein Widerspruch zum glatten Perfektionswillen der damaligen „Wirtschaftswunder-Kapitäne“, welche Gegenbilder zu den Einengungsversuchen der Adenauer-Ara!

Der Vergleich mit der Musik ist natürlich eine Hilfskonstruktion, die dem Ungegenständlichen eine gewisse Faßbarkeit abgewinnen soll. Zeitweise, vor allem nach Mitte der 50er Jahre, löste sich Nay vollkommen von figurativ-gegenständlichen Formen, die hingegen in seinen „Scheiben“- und „Augen-Bildem“ wieder präsent sind.

In einigen Werkphasen werden die Farbwerte zusehends dynamischer, sie übersprühen und überfluten das Bildgefüge. Dann wieder, phasenweise abwechselnd mit diesen eruptiven Bildern, zwingt sich Nay zu strengerem Bildaufbau – dies allerdings nicht immer ohne Gefahr einer bloß noch dekorativen Wirkung. Die Wechselfolge gleicht einem Ein- und Ausatmen, sie gleicht Anspannung und Erleichterung, der Angst und deren Überwindung.

Neue (oder zumindest verdrängte) Erkenntnisse in Münster: Der Weg in die Gegenstandslosigkeit war schon in den 30er Jahren vorgezeichnet (als Nay den Nazis als „entartet“ galt), und die „Scheibenbilder“, mit denen Nay heute am meisten identifiziert wird (in Münster hängt nur eines aus dieser Serie), haben ihren Platz in einem viel breiteren künstlerischen Konzept.

E. W. Nay -Kunstverein Münster (im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Domplatz 10). Bis 22. September. Di.-So. 10-18 Uhr. Katalog 25 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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