Malerei als immerwährendes Experiment – Werkschau zu Christian Rohlfs in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Vor genau zwei Jahren stellte das Dortmunder Ostwall-Museum die Druckgraphik von Christian Rohlfs (1849—1938) aus. Da zeigte sich, daß Rohlfs auch im Graphischen „malerisch“ verfuhr, indem er allzu harte Linienführungen oft nachträglich mit dem Pinsel milderte. Jetzt ergibt sich im Westfälischen Landesmuseum zu Münster, wo mit über 90 Rohlfs-Gemälden die bislang größte Retrospektive dieses Künstlers zu sehen ist, gleichsam ein umgekehrter Effekt: Viele Ölbilder sind auf beinahe graphische Weise behandelt, indem Rohlfs pastose Farbschichten mit dem Spachtel aufriß, somit jede gefällige Glätte vermeidend. Rohlfs — ein stets unzufriedener Künstler, dem keine Technik genügte, der unablässig „nachbesserte“?

Tatsächlich hat Rohlfs nie den bequemen Weg gewählt.. Zunächst hätte er durchaus als Salonmaler auf dem Markt reüssieren können. Das wies er weit von sich. Und: Erst um 1890 lernte er Bilder französischer Impressionisten kennen. In den Jahren zuvor hatte er sich auf eigene Faust eine dem Impressionismus verwandte Farb- und Licht-.Sprache“ langwierig errungen, ja erkämpft — obwohl die Grundlagen im Nachbarland längst „entdeckt“ waren.

Rohlfs, später sozusagen ein Expressiver ohne das Pathos der Expressionisten, hat zeitlebens nur ein einziges Selbstporträt gemalt. Er war ein zurückhaltender „Eigenbrötler“, der sich nie in den Hauptstrom äußerer Einflüsse begab. In Münster kann man nun seine ganze Entwicklung nachvollziehen. Das war nur in engem Kontakt mit DDR-Museen möglich, da dort die prägnantesten Beispiele für das Frühwerk (bis 1890) vorhanden sind, während das mittlere und späte Werk fast nur bei uns verfügbar sind. Was lag da näher, als sich zusammenzutun? Besonders die Kunstsammlungen in Weimar, wo die Münsteraner Ausstellung von März bis Mai 1990 Station macht, haben aufschlußreiche Exponate beigetragen. Aber auch die Museen in Dortmund und Hagen zeigten sich großzügig.

Es beginnt mit einem „akademischen Schinken“. Titel: „Der Schutzflehende“ (1880). Eine Auftragsarbeit, ersichtlich ohne Passion gemalt. Daß Rohlfs schon zu jener Zeit „ganz anders konnte“, läßt das Bild „Römische Bauleute“ (1879) ahnen: bewußt „banales“ Thema, gewagter Anschnitt der Figuren, eigenwillige Farbgebung. Da zeigt sich bereits der Mann, der konsequent seinen Sonderweg gehen wird, der unermüdlich experimentiert, dabei zu „Abstürzen“ ebenso fähig wie zu großartigen Aufschwüngen.

Rohlfs, gebürtiger Holsteiner, war innig mit Westfalen verbunden. In Soest hat er wichtige Zyklen gemalt, vor allem aber seit 1901 in Hagen gelebt. Hier war es Karl-Ernst Osthaus, der den späteren Hagener Ehrenbürger Rohlfs mit internationalen Tendenzen bekannt machte — mit Manet, Cézanne, van Gogh. Um 1903/04 erprobt Rohlfs, etwa in den Bildern „Sonnenblumen“ und „Weiden“, Ausdrucksformeln à la van Gogh. Die Farbe wird zunehmend autonom, befreit vom Gegenstand. Aber auch im nachahmenden Versuch behält Rohlfs Kunst eigenes Gepräge. Lag es an dieser ständigen Offenheit fürs Experiment, daß Rohlfs — im Gegensatz zu den meisten Expressionisten — auch ein beachtliches Alterswerk vorweisen konnte?

Sodann einige Akte und das Bild „Getreidefeld“ (1911): Rohlfs „verletzt“ die Malfläche, wahre Farbhügel und Gräben ergeben eine rissige Oberflächenstruktur. Fast scheint es, als wolle die Farbe stellenweise aus dem Bild heraus spritzen.

1914 dann der Schock des Krieges: düstere Bilder („Sklavenhalter“, „Der Gehetzte“, 1918) und biblische Motive, Themen wie Sünde und Erlösung. Großartiges Beispiel aus dem Spätwerk Rohlfs‘, der von den Nazis als „entartet“ verfemt wurde: „Alter Turm“ (1935), aquarellhaft-ätherisches Blau, fast meditativ.

Christian Rohlfs – Gemälde. Westfälisches Landesmuseum Münster, Domplatz. Bis 11.2.1990. Tägl. (außer mo) 10-18 Uhr. Katalog 35 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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