Von Bernd Berke
Düsseldorf. Im besten Mannesalter durchschreitet „Noodles“ (Robert de Niro) das Bahnhofsportal, um gleich darauf als gramgebeugter Grauhaariger durch dieselbe Pforte zurückzukehren. Der Zeitsprung deutet auf Märchenhaftes. Und so heißt dieser Film denn auch: „Es war einmal in Amerika“.
Volle drei Stunden und vierzig Minuten nimmt Sergio Leones Opus den Zuschauer in Anspruch. Ein langer Film. Auch ein „großer“?
Leone, der zehn Jahre lang an seiner ersten Regiearbeit seit 1971 („Todesmelodie“) „gefeilt“ hat, führt uns ins New Yorker Juden-Einwandererviertel Lower East Side. Beginnend mit den 20er Jahren, es ist die Zeit der Alkohol-Prohibition, wird die Entwicklung einer Kinderbande zum perfekt organisierten Verbrecher-Syndikat nachgezeichnet. Zwischenstation ist das Jahr 1933, Endpunkt das Jahr 1968, von dem aus die Vergangenheit allmählich analytisch aufgeschlüsselt wird.
Auf den Seziertisch kommen ganze Biographien, deren Unausweichlichkeit zutage gefördert wird. An den entscheidenden Schnittstellen rasten stets dieselben Gesten ein, dieselben Zwangsreaktionen an denselben Orten. Die Menschen altern und vergehen, die ihnen auferlegten Zwänge bleiben eisern.
Einen weiteren Erzählstrang bildet die lebenslange Geschichte einer prekären Freundschaft: „Noodles“ und „Max“ sind, von Kindesbeinen an, die denkbar gegensätzlichen Pole der Bande. „Noodles“ steht für den Gesetzlosen aus Gefühl und Leidenschaft, der den wilden Prärie-Geruch der Straße braucht. „Max“ (James Woods) vertritt eine geschichtlich neuere Variante des amerikanischen Traums: Nach dem Muster der Tellerwäscher-Karriere will er in immer höhere, „schmutzfreie“ Machtregionen vordringen. Kälteste Berechnung und Rationalisierung des Verbrechens sind seine Mittel.
Der Film setzt furios und gewaltsam ein – als wolle sich das „Märchen“ seines realistischen Gehalts versichern. Doch nach und nach gewinnt die Handlung an Tiefenschärfe, entfaltet komische und tragische Qualitäten; dies in mächtigen Bildern, die sich einem sozusagen „über den Kopf wölben“ und nachwirken. Mit Robert de Niro hat Leone zudem einen Hauptdarsteller, der sich seiner Rolle einmal mehr wie ein Besessener gewidmet haben muß. Hochprofessionelle Arbeit haben auch das Besetzungsbüro und der Maskenbildner geleistet – die Darsteller der verschiedenen Lebensphasen scheinen organisch auseinander hervorzuwachsen.
Ganz wenige Einstellungen wirken „gesucht“: Die Ballettübung von Deborah, „Noodles'“ Jugendliebe, zwischen lichtumflorten Mehlsäcken (!) sowie ein tödliches Duell in einer Bettfedernfabrik, bei dem eigentlich nur die blutige Rötung des weißen Flaums fehlt, bleiben Ausnahmen. Auch die zuweilen vor Süßigkeit triefende Musik vermag dem Gesamteindruck kaum Abbruch zu tun: Leone hat – noch mehr als 1968 mit „Spiel mir das Lied vom Tod“ – für ein Filmereignis hohen Ranges gesorgt (Bundesstart 12.10.).