Da saß ich früher auf meiner angestammten Schale im Block 44, Reihe 13, Platz 52, war nach Jahrzehnten des ermüdenden Stehens und lästigen Bierduschens in der schwatz-gelben Wand froh, wenn die mich dann als „Sitzplatzkanacken“ beschimpften und freute mich, dass ich Dede beim Sprint über die linke Außenbahn beinahe auf die Schulter hätte klopfen können.
Heute, finanziell nicht mehr ganz so flüssig, bequeme ich mich entweder ins Sofa und schaue aus der Ferne, wie mein BVB Erfolge erstürmt. Und vermisse bisweilen Levent Aktoprak, meinen vieljährigen Sitzplatz-Nachbarn, wie er jubelnd Nuri Shahin zubrüllt, dass er doch schneller laufen möge.
Aber da habe ich inzwischen längst eine ganz neue Fan-Kultur ausgemacht und beginne sie immer intensiver zu genießen. Und ich kann sagen, dass es einen Riesenspaß macht, ein Spiel am nächsten Tage noch mal via facebook Revue passieren zu lassen. Das gewinnt zunehmend mehr an Spaßfaktor. Vor allem dann, wenn wir mal wieder – wie gegen Neapel – einen bravourösen Sieg zu feiern hatten. Ich bin überzeugt, Herbert Antoine Arthur Zimmermann, der unvergessene Radiosprecher, dessen „unaufgeregter“ Reportagestil die 1954-Weltmeisterschaft begleitete, hätte da auch so seine Freude dran gehabt.
„Und ab geht’s! // Kick-off!“, informiert zum Auftakt die BVB-Seite die facebook-Gemeinde. Wir alle beben vor Erwartung.
Bald darauf schreibt dieselbe Quelle, dass da ein Elfer verhängt wurde, den Marco Reus sicher versenkte. Klingt ungefähr so:
TOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOR für Borussia Dortmund! Marco Reus verwandelt den Elfmeter!
//
GOOOOOOOOOOOOOOOOAL! Marco Reus sends Pepe Reina the wrong way from the penalty spot!
“Jaaa, Reus”, textet entzückt Gabriella Wollenhaupt.
Wow, ich kann die Glückseligkeit in den Augen aller mir persönlich bekannten Borussen sehen und fühle nach, wie sich nach dem Jubel (habe nie hingeguckt, wenn es einen Strafstoß gab) die unzähligen Kehlen anrauten. Aber nicht zu früh freuen.
„Vollgas geht’s weiter“, stellt BVB-facebook fest.
Während mein Puls sich ein wenig sediert, wetterleuchtet im „Tempel“, wie Frank Fligge, Freund, Kollege und Chronist der schwarz-gelben Ereigniswelt das Westfalenstadion rühmend nennt, bereits Wunderfeines auf dem Rasen.
„JAWOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOLL! Da ist das 2:0! Nachdem Neapel zuvor noch auf der Linie klären konnte, versenkt Kuba Błaszczykowski den Ball jetzt im gegnerischen Kasten!
//
GOOOOOOOOOOOOOOAL! KUBA makes it 2-0!“
Ok, dass Lorenzo Insigne ein 2:1 gelingt, sei hier am Rande vermerkt, aber auch nur knapp und am Rande, so wie es der fratzebookende Spielbericht vermerkt.
Viel spannender Sven Benders Nase, die im harten Kampf brach, sein Mut aber nicht, der „eiserne Manni“ macht weiter und fightet sich durchs Spiel. Ganz nach dem Motto, das Klaus Schürholz mit Mannschaftsfoto postet: „Wir geben alles!“ Und um das noch zu toppen, legt er das „Wandbild“ (tobende Südtribüne) nach, dessen Titel alles über Dortmund sagt: „Die Farben der geilsten Stadt“.
Kristian Frigelj mischt sich ein und geht offenbar ein wenig nach. Sei BVB-Heißluftballon ist von ihm untertitelt: „Aufwärmen!“
Wieder Klaus Schürholz im Stile eines Kurt Brumme: „Auba“. Wesentlich moderner und frenetisch jauchzt Ingo Scherlinki: „Aubamejaaaaaaa! Kann also doch nicht nur schnell. Sondern auch gut. Den viel schwierigeren Ball macht er rein. Spitzer Winkel, Lupfer. Und was ändert’s? Nichts. Gar nichts! Denn: Dortmund immer noch nur ein Tor vom Ausscheiden entfernt. Ich halt das alles nicht mehr aus.“
„Ich bin zu alt dafür“, schimpft Jochen Nospickel, dessen Nerven offenbar ganz still und leise bersten.
„Kuba“, stellt Klaus Schürholz nüchtern fest. Manfred Kowitzke redet dazwischen, wird aber als hartnäckiger Fan des FC Köln von niemandem ernst genommen. Klaus Schürholz entfährt gar ein knurrendes „Schnauze!“
Die Besonnenheit auf zwei Beinen, Bernd Berke, wird ungeduldig: „Nun macht die Pocke doch endlich mal ‚rein!“ Gabriella Wollenhaupt schließt sich an: „Haut die Kugel rein, Jungs!!“ Bald darauf sind sie beide wie unzählige andere erlöst: „Endlich… Auba!!!“ Manfred, den niemand ernst nimmt, sobald er über Fußball philosophiert, räumt fair ein, dass das diesmal ja alles gut gelaufen sei. Ich freue mich für ihn, er hat mal ein richtig gutes Fußballspiel miterlebt.
Und mit noch einem freue ich mich, weil er sein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk und die Spannung des Abends frei von Kreislaufattacken überleben konnte: Norbert Dickel, Held von Berlin, alles Gute zum Geburtstag.
Irgendwie gibt’s an einem BVB-Spieltag wirklich so etwas wie eine facebook-Familie.
Nur der Wahrheit die Ehre gegeben: mein Kommentar war eine Leihgabe aus dem 11Freunde- Liveticker (hab ich auch brav vermerkt).