Durch Nacht zum Licht: Die Triennale feiert Nonos „Prometeo“ in Form eines Kirchgangs

Auf diesigem Weg zum verheißungsvollen Ziel: Triennale-Besucher als Teil einer Inszenierung. Foto: Wonge Bergmann

Auf diesigem Weg zum verheißungsvollen Ziel: Triennale-Besucher als Teil der Inszenierung. Foto: Wonge Bergmann

Der Weg ist nicht immer das Ziel. Mitunter kann er mühselig sein, uns verunsichern, ja höchst irritieren. Umso schöner, wenn es dann erreicht ist, das hehre, glänzende Ziel, auf dass wir uns denn in Seligkeit hingeben. Wie jetzt bei der Triennale. Wo das Publikum gewissermaßen durch eine nebelnasse Nacht zum Licht geführt wird. Behutsam, in kleinen Gruppen. Und am Ende einer Schleuse wartet die ultimative Symbiose von Werk und Spielstätte: Luigi Nonos „Prometeo“ in der Duisburger Kraftzentrale.

Soviel Kirchgang war nie. Denn drinnen verschachteln sich harte Holzbänke, die an Gottesdienstaskese gemahnen, zum Sitzgruppenlabyrinth. Heizstrahler an den Füßen inklusive, die indes nach und nach ihren Dienst einstellen. Dünne Platzkissen sollen das Exerzitium, das satte 140 Minuten währen wird, ein bisschen angenehmer machen. Vorn dirigieren Ingo Metzmacher und Matilda Hofman aus Partituren groß wie Folianten, die auf Pulten breit wie Altäre liegen. Sie koordinieren die Einsätze der Vokal- und Instrumentalsolisten, des Chores (Schola Heidelberg), des Ensemble Modern Orchestra und der Live-Elektronik (Experimentalstudio des SWR).

Matilda Hofman an einem der beiden riesigen Dirigentenpulte. Foto: Wonge Bergmann

Matilda Hofman an einem der beiden riesigen Dirigentenpulte. Foto: Wonge Bergmann

Nono nennt sein Werk, entstanden Anfang der 1980er Jahre, tatsächlich in einer Kirche uraufgeführt, eine „Tragödie des Hörens“ Dabei bezieht sich die Tragödie durchaus auf den Prometheusstoff, die allerdings eben nur hörend erfahren werden kann. Denn Musiktheater bedeutete für den italienischen Komponisten keine Interaktion oder Szenerie im herkömmlichen Sinne. Das Publikum darf sich allein auf die Klänge konzentrieren, auf das gesprochene, gemurmelte, hervorgestoßene, auch gesungene Wort, auf die Verbreitung im Raum. Und weil diese Art der Rezeption ungemein schwierig ist, weil der Musik insgesamt ja die Linearität abgeht, heißt es immer wieder „Ascolta“! (Höre!).

Vorn musizieren Chor und Orchester, neben und hinter uns, auf kleinen Emporen, weitere Sänger sowie Streicher- und Bläsergruppen. Die Elektronik tut ein übriges, um das Wandern des Tönenden zu untermauern, arbeitet mit Hall-, Echo- und Geräuscheffekten. Solisten und Ensembles liefern Sprachfetzen, etwa aus dem „Prometheus“ des Aischylos, aus Texten von Hölderlin, Walter Benjamin oder Hesiod (Libretto von Massimo Cacciari). Zudem erklingen Melodiefragmente, rhythmische Ausbrüche, vor allem aber üppige Klangschichtungen. Und alles in gehöriger Langsamkeit, als sei das hier ein archaisches Ritual, eine Unterweisung im richtigen Hören.

Dirigent Ingo Metzmacher mit präzisen Einsätzen. Foto: Wonge Bergmann

Dirigent Ingo Metzmacher (r.) und Matilda Hofman mit präzisen Einsätzen. Foto: Wonge Bergmann

Nun, nach den ersten 20 Minuten tröpfelten manche dem Ausgang zu, einmal sogar eine größere Gruppe. Nonos radikaler Ansatz, so scheint’s, ist ohne weiteres kaum zu vermitteln, trägt nicht über die Zeit. Ob die intellektuell anspruchsvollen Aufsätze im Programmheftchen da weiterhelfen, bleibt eine diskutable Frage. Dass der Komponist die Mehrchörigkeit der alten Venezianer und franco-flämischen Schule genauestens studiert hatte und geschickt in die Moderne des seriellen Komponierens zu transformieren wusste, sei unbenommen. Dass zudem Chöre, Solisten und Orchester das Spiel der Klänge wirkmächtig umsetzen, sei herzlichst anerkannt. Doch Nonos Denken wirkt wie aus ferner Zeit. Sein Schüler Helmut Lachenmann jedenfalls hat mit dem Musiktheaterwerk „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“, das kompositorisch die Emanzipation des Geräuschs vorantreibt, einen weit interessanteren Vorstoß gewagt.

Die Triennale aber lässt Nono feiern wie einen Heiligen. In einer „Industriekathedrale“. Und wir, die wir aus dem Dunkeln ins Helle geführt werden wie Auserwählte, sollen uns berauschen lassen, uns gleichzeitig (bewundernd?) der industriellen Vergangenheit stellen – die Zusammenhänge lernt, wer’s Programm liest. Einst hieß es für die Kulturhauptstadt Ruhrgebiet: „Wandel durch Kultur“. Die Triennale weckt mit hehrer Kultur allerdings eher manch nostalgisch angehauchte Seele. Musiktheater für Sentimentale – ach, vielen Dank.

 

 

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