Hoffmanns Spukgestalten

Hoffmann (Thomas Piffka, im Rollstuhl) ist verliebt und bereits in den Fängen der Puppe Olympia (Rebecca Nelsen). Foto: Thilo Beu

Die Geliebte glänzt durch Abwesenheit. Vielleicht ist Stella nur ein Traumbild, in dem der Dichter Hoffmann seine Idealfrau erblickt. Die Sehnsucht nach ihr befeuert zwar seine Phantasie, erwärmt aber nicht sein Leben. Das fühlt sich kalt und unbewohnt an: Wie sehr, das lässt Regisseur Dietrich Hilsdorf uns jetzt im Essener Aalto-Theater spüren. Dort begegnet uns der Titelheld von Jacques Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“ auf komplett leer geräumter Bühne.

Dunkel und trostlos ist es um den Poeten, der da allein an einem Tischchen sitzt und trinkt. Keine ausgelassenen Studenten, sondern schwarz gekleidete Theaterleute strömen herbei, um sich von der Ballade von Klein-Zack unterhalten zu lassen. Hoffmanns Einsamkeit mildert das nicht. Deshalb flüchtet er in eine andere Welt, in der er drei Frauenentwürfe schafft: den Gesangsautomaten Olympia, die der Kunst verfallene Sängerin Antonia und die berechnende Kurtisane Giulietta.

Mit dem Beginn der drei Binnen-Akte könnte die Regie trefflich auf eine andere Ebene abheben. Könnte die Leere mit Leben füllen, könnte dem Zug ins produktiv Phantastische folgen. Aber Hilsdorf wählt einen anderen Weg: Er will Schauergeschichten nach Art des „Gespenster-Hoffmann“ erzählen. Vor blutroten Vorhängen zeigt er uns Spukszenen: Aus Olympia wird eine larvenhaft weiße Puppe im Rollstuhl, Antonia tauscht mit ihrer im Sarg aufgebahrten Mutter den Platz. Und die teuflisch verführerische Giulietta macht aus einem unbescholtenen Mann einen Mörder.

So lastet weiter nächtliches Dunkel auf der Bühne. Glutvolle Schwärmerei oder quirliger Esprit sind in dieser Schattenwelt Mangelware, vielmehr färbt die Gespensterblässe auf Offenbachs Opern-Torso ab. Die eigens für das Aalto-Theater erstellte Dialogfassung nimmt zusätzlichen Schwung aus dem Stück heraus. Natürlich ist Hilsdorf Meister genug, um der tausendfach verkitschten „Barcarole“ neuen, ironisch gebrochenen Zauber zu geben. Auch hält er dem Publikum gelegentlich den Spiegel vor, wenn er das gesamte Theater zur Spielfläche erhebt. Aber wo sich sein „Fidelio“ einst zum umfassenden Opernfest rundete, mühen sich „Hoffmanns Erzählungen“ durch manche Ebene, bevor sie sich zum apotheotischen Finale aufschwingen.

Seltsam schräg zur intendierten Schauerromantik steht der eher beiläufige Operettenklang aus dem Orchestergraben. Unter der Leitung von Stefan Soltesz lassen die Essener Philharmoniker Offenbachs Musik schlank und flink, aber auch recht folgenlos parlieren. Vieles klingt eher nivelliert als ausgewogen: Die Partitur bleibt auch in ihren besten Momenten seltsam kraftlos. Das Gesangsensemble ist gut besetzt, ohne wirklich zu glänzen. Mehr leidende Künstlerseele denn kraftvoller Dionysiker ist Thomas Piffka in der Hauptrolle. Er führt seinen schlanken Tenor mit Eleganz, löst die bis dahin offenbar angezogene Handbremse aber erst im letzten Akt, um richtig Kraft und Schmelz zu entwickeln. Rebecca Nelsen ist als Olympia ein verlässlicher Gesangsautomat, dem menschliche Mühen in der koloraturgepanzerten Mechanik indes nicht fremd sind. Die Muse Niklausse (Michaela Selinger), die Sängerin Antonia (Olga Mykytenko) und die Kurtisane Giulietta (Ieva Prudnikovaite) bilden ein ausgewogenes Trio. Trotz allem überwiegt am Ende das Gefühl, der große Dichter und Phantast habe in Essen mehr Wasser getrunken als Wein.

Termine und Informationen: http://www.theater-essen.de

(Der Artikel ist zuerst im „Westfälischen Anzeiger“ erschienen.)

 

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