Bildmächtiger Antikriegs-Appell

Der Erfolg des Britten-Zyklus’ am Musiktheater in Gelsenkirchen ist maßgeblich das Werk der Regisseurin Elisabeth Stöppler. Die in Hannover geborene 34-Jährige, die das Regiehandwerk unter anderem bei Götz Friedrich und Peter Konwitschny in Hamburg studierte und einst Assistentin von Johannes Schaaf und Stefan Herheim war, schilderte in „Peter Grimes“ die gnadenlose Hetzjagd auf einen Außenseiter und formte „Gloriana“ zu einer bildstarken und packenden Studie über die Auswirkungen der Macht.

Mit dem Versuch, Brittens „War Requiem“ für die Gelsenkirchener Oper in eine Bühnensprache zu übersetzen, geht Elisabeth Stöppler jetzt einen tollkühnen Schritt weiter. Fasziniert vom aufrüttelnden Antikriegs-Appell dieser Totenmesse, die Britten für die symbolträchtige Einweihung der wieder aufgebauten Kathedrale zu Coventry komponierte, versucht sie dem Werk eine Handlung abzulauschen und seine ohnehin eindringliche Botschaft weiter zu verstärken. Dabei greift sie die dialogische Anlage des Werks auf: So wie Britten den lateinischen Text der Messe mit Berichten des im 1. Weltkrieg gefallenen Frontsoldaten Wilfred Owen verschränkt, so spielen Szene und Videoprojektionen in ihrer Inszenierung ineinander. Die Gesangssolisten verkörpern Einzelschicksale, die Chöre eine anonyme Masse.

Sie alle geraten in einen absurden Kreislauf von Gewalt, als der Krieg über das Fernsehen in die Welt einer kleinen Familie bricht. Ein verletzter Soldat platzt durch den Wandschrank mitten ins Wohnzimmer, wo er vor aller Augen stirbt. Vater, Mutter und die Kinder reagieren darauf nachhaltig verstört. Der eben noch tote Soldat steht wieder auf und erschießt ein Kind. Das Kind steht wieder auf und erschießt seinen Bruder. Der Bruder steht wieder auf und droht seinerseits Amok zu laufen. So geht es fort und fort in der Welt, mit der die Regie uns konfrontiert. Die Opfer stehen auf, um ihrerseits zu Tätern werden.

Es liegt auch am gravitätischen Fluss der Musik, wenn dieser Kreislauf bald ermüdend wirkt. Die von Elisabeth Stöppler für dieses Experiment erfundene Handlung bleibt Stückwerk: Es kommt kein Erzählfluss auf, vielmehr ertrinkt das Bühnengeschehen zunehmend in einer Flut symbolträchtiger Bilder. Manche davon sind auf düstere Weise großartig. Vielfach und namenlos ist das Leid, das die Chöre verkörpern. Elisabeth Stöppler lässt sie auf düsterer Szene schwanken und fallen, als sei Hyperions Schicksalslied grässliche Realität geworden (Bühne und Kostüme: Kathrin-Susann Brose). Rauch steigt auf und weht über Körper. Ob per Video eingespielte Kunstblut-Orgien die Wucht des „Dies Irae“ noch verstärken ist indes eine Frage, zu der es verschiedene Meinungen geben kann. Aus dem grundlegenden Dilemma, dass der Regisseurin mehr nach dem Werk verlangte als das Werk nach einer Regie, gibt es offenkundig keinen Ausweg.

Sängerisch ragt Petra Schmidt aus einem mehr soliden denn glanzvollen Ensemble heraus. Opernchor, Extrachor und Kinderchor des MiR haben maßgeblichen Anteil am musikalischen Erfolg, für den Rasmus Baumann am Dirigentenpult der Neuen Philharmonie Westfalen verantwortlich zeichnet. Der wohlmeinende Versuch des Publikums, die Premiere zum nächsten Erfolg der Regisseurin hochzujubeln, geht indes an der Sache vorbei. Elisabeth Stöppler ist in Würde an einem Experiment gescheitert, das nicht gelingen konnte.

Das Programm des Musiktheater im Revier findet sich unter http://www.musiktheater-im-revier.de

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