Als die Radios noch Gesichter hatten – Im beschaulichen Bad Laasphe hat Hans Necker Deutschlands größte Gerätesammlung aufgebaut

Von Bernd Berke

Bad Laasphe. „Schreiben Sie nicht so viel über mich, es geht um die Sache“, bittet Hans Necker. Ganz sachlich also: Der 61-Jährige hat praktisch im Alleingang am südlichen Rande Westfalens das größte deutsche Radiomuseum eingerichtet.

Kaum zu glauben: Ungefähr 3500 verschiedene Röhren-Geräte verwahrt Necker heute – überwiegend aus der Vorkriegszeit und aus den 50er Jahren. Die Sammlung wäre jeder Metropole würdig. Für manche ist es pure Nostalgie, andere berauschen sich eher an der Technik.

Neckers Passion begann in seiner Düsseldorfer Kindheit. Wegen einer Sehschwäche verbrachte er fast jede freie Minute vor dem Hörfunkgerät. 1952 bekam er zur Einschulung von einer Tante sein erstes eigenes Radio – einen prachtvollen belgischen Empfänger, Baujahr 1938.

Grundstock aus dem Sperrmüll der 60er Jahre

Ein großer Grundstock seiner jetzigen Sammlung stammt aus dem Sperrmüll der 60er Jahre. Hans Necker: „Damals wollten die Leute alles Alte wegwerfen.“ Hinzu kamen eine umfangreiche Schenkung und etliche Gelegenheiten bei Sammlertreffs der „Radioten“, wie Necker Seinesgleichen nennt.

Schon seit langem hatte der gelernte Bürokaufmann die Südzipfel Westfalens im Urlaub besucht. Vor 17 Jahren zog es ihn dann endgültig ins beschauliche Bad Laasphe im Wittgensteiner Land. Die Radios brachte er mit.

Wohl kaum eine Ehefrau würde eine solche Leidenschaft klaglos dulden. Necker ist denn auch unverheiratet geblieben. Er hat alle Schätze penibel katalogisiert und beschriftet. Ganz so, als hätte er zeitig geahnt, dass solche Gerate wieder „salonfähig“ werden würden. Längst baut die Industrie im Zeichen des Retro-Designs historische Apparate nach – allenfalls ein matter Abglanz der Originale.

Etwa um 1965 hat Necker die Grenzlinie gezogen: „Transistor-Radios – ach nee. Das wäre ein anderes Sammelgebiet.“ Schade, ich hätte gerne noch einmal eine Philips Evette von 1962 betrachtet. Mein erstes, damals zu Weihnachten heiß ersehntes Kofferradio. Doch hier findet sich ja weitaus Wertvolleres. Beim Gang durch schier endlose Regalreihen hält man häufig inne. Es ist wie mit alten Automobilen: Auch Radios hatten „damals“ Charakter, ja gleichsam Gesichter, und sie blickten aus „magischen Augen“ (so hießen leuchtende Empfangsanzeiger).

Kleinode wie die „Pfeifende Johanna“

Manche Geräte erstrahlen geradezu triumphal. Und auch die, die sich formal bescheidener geben, sind vielfach eine Augenweide. Einflüsse aus Kunst- und Kulturgeschichte sind unverkennbar. Einige Radios sind vom Jugendstil inspiriert, andere etwa vom Bauhaus. Notfalls mit „gutem Zureden“ funktionieren die allermeisten Geräte noch. Hans Necker hält alles selbst in Schuss.

Zu jedem Gerät weiß der Mann eine Geschichte zu erzählen, als wären es lauter gute Freunde. Auch in der Historie des Mediums kennt er sich aus. Jahre bevor am 29. Oktober 1923 der öffentliche Rundfunk in Deutschland begann, ging es los: „Um 1918 gab es in Frankreich einen Börsenfunk.“ Damit hat es also begonnen!

Alles scheint vorhanden: Detektoren, die man nur mit,Kopfhörer benutzen konnte; die in der NS-Zeit diktatorisch verordneten „Volksempfänger“ oder Kleinode wie die „Pfeifende Johanna“, ein 1934 von Telefunken gefertigtes, nicht richtig ausgereiftes Modell mit argen Tonproblemen. Man staunt über einen Boudoir-Spiegel, der sich als Radio für die elegante Dame erweist. Man bewundert Apparate mit kathedralenförmigem Gehäuse oder veritabler Breitwand-Senderskala. Ganz großes Hörkino!

DDR-Geräte gefällig? Es gibt dafür eine ganze Abteilung. Kuriosa von jederlei Art? Auch die werden gebührend gewürdigt. Die mitunter abenteuerlichen Entwicklungslinien einzelner Firmen wie etwa Braun („Schneewittchensarg“) oder Körting? Bitte sehr, reichlich dokumentiert. Einzelne Länder Europas? Na, klar. Als Laie denkt man, alles wäre komplett, aber einer wie Hans Necker sieht die Lücken: „Ich habe immer noch eine lange Wunschliste.“ Sein Appell an alle Entrümpler: „Bitte nichts voreilig in den Container werfen!“

Und die Zukunft? Die Stadt Bad Laasphe werde sich etwas einfallen lassen müssen, mahnt Necker. Seine Sorge: „Was wird aus der Sammlung, wenn ich nicht mehr bin?“

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INFOS

Eintrag im „Buch der Rekorde“

  • Radiomuseum Hans Necker. Bad Laasphe, Bahnhofstraße 33. Geöffnet März bis Okt. Di, Do, Sa, So 14.30 bis 17 und nach Vereinbarung (02752/97 98). Eintritt 2 Euro.
  • Untergebracht ist das Museum im ersten Stock eines früheren Gymnasiums, das man sich mit Schützen und einem Jugendtreff teilt. Die Stadt stellt die Räume, Hans Necker betreut seine Sammlung ehrenamtlich.
  • Von 3500 Geräten werden rund 1000 ständig gezeigt, der breite Rest befindet sich im Depot – es reicht für einen Eintrag im „Buch der Rekorde“.
  • Auch Grammophone (Edison-Walzenphonograph von 1897), Tonbandgeräte (mit Spezialitäten wie dem „Tefifon“), TV-Truhen, Lautsprecher, Antennen usw. zählen zur Sammlung.
  • Eine annähernd ebenbürtige Fülle gibt es bundesweit nur in Fürth.

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Nachtrag: Link zur Homepage des Museums, Stand Februar 2019:

http://www.internationales-radiomuseum.de/

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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