Wie die Lektüre Kunst und Leben beeinflußt – Bilder des Lesens bei den Ruhrfestspielen (und ein Beitrag des Fritz-Hüser-Instituts)

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Buch und Leser stehen im Mittelpunkt zweier Ausstellungen in der Kunsthalle Recklinghausen, die jetzt bei den Ruhrfestspielen – zusammen mit KollwitzDruckgraphik und DDR-Freizeitkunst – Bilder-Akzente setzen: Unter dem Titel „Magie des Buches“ werden rund 160 Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Objekte zum Thema ausgebreitet, und das Dortmunder Fritz-Hüser-Institut steuert die didaktische Schau „Alltag, Traum und Utopie“ bei (beide bis 3. Juli).

Zunächst zur Kunstausstellung, die zum Teil hochkarätige Exponate (Chagall, Corinth, Heckel usw.) enthält und sich auf Werke des 19. und 20. Jahrhunderts konzentriert. Nur Bilder, auf denen Bücher und Leser zu sehen sind? Langweilig, könnte man argwohnen. Doch dem zweiten und dritten Blick enthüllt sich, wie verschieden die Künstler mit dem Thema umgegangen sind.

Mal ist das Buch eine Zutat sehnsuchtsvoller Romantik (Johann Peter Hasenclever: „Die Sentimentale“, 1846), öfter auch Accessoire des bürgerlichen Porträts; es dokumentiert „gehobenen“ Lebensstil, dient gleichsam als „Bildungsausweis“. Doch es gibt auch die Darstellung dringlicher Lektüre. Beispiele hierfür sind Ernst Barlachs Skulptur „Der Buchleser“ (1936) oder Gerhard Marcks‘ Plastik „Albertus Magnus“ (1955). Werden Lesende ansonsten meist isoliert gezeigt, so kann man bei Marcks auch die Folgen der Lektüre geradezu mit Händen greifen: „Albertus Magnus“ blickt vom Buch auf – mit einer Geste, die den Beginn eines Gesprächs andeutet. Einige Bilder zur „Bücherverbrennung“ lassen ahnen, für wie gefährlich Diktatoren solche Lektüre-Konsequenz halten.

Die Darstellung lesender Frauen ist nicht selten eine sanft verhüllte Liebeserklärung, sie betont den zärtlich-erotischen Aspekt der Versunkenheit und Selbstvergessenheit. Beispiel: Pierre Bonnards „Lesende Frau“ (1909). Vom Lesevorgang abstrahiert dann Paul Klee. Sein „Bilderbuch“ (1937) fungiert als Träger geometrischer Figuren – ein Übergang zu den Buchobjekten: Bücher sind hier nicht nur Thema, sondem selbst Medium der Kunst. Da gibt es etwa Timm Ulrichs‘ „Büchmanns geflügelte Worte“ (1977): Buchbände auf Notenständern, die von einem Ventilator durchgeblättert, also „beflügelt“ werden, oder Claudia Kölgens metallisch flirrendes Buch „Ohne Titel“, dessen haarfeines Gewölk die elektrisierende Wirkung mancher Leseabenteuer verdeutlicht.

Sehenswert auch der Dortmunder Beitrag über „Lesegeschichten und Lebensgeschichten“, der eine aufwendigere Präsentation verdient hätte. Immerhin sieht man Schrift-Dokumente (Zeit mitbringen!) und Lese-Ambiente: Schulbänke, Küchentische.

Vier Revier-Biographien aus vier Generationen (vom Bergmann bis zur Studentin), nach langen Interviews aufgezeichnet, werden zur jeweiligen Lektüre in Bezug gesetzt. Erstaunlich, wie verwoben Leben und Lesen, bei Licht betrachtet, sind. So zieht sich ein frühes Leseerlebnis des Bergmanns (Schillers „Tell“) wie ein Leitmotiv durch sein Leben, beeinflußt nachhaltig sein Gerechtigkeitsempfinden und das Engagement für Kollegen im Betrieb. Fast schon zu mustergültig: Der Weg einer jungen Frau, die durch Uwe Timms „Heißer Sommer“ (Roman über die APO-Revolte) eine idealtypisch „linke“ Lebensbahn einschlägt.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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