Monatsarchive: Juli 1997

Kunst aus dem Geiste der Unordnung – „Gefährdetes Gleichgewicht“ in der Bochumer „Galerie m“

Von Bernd Berke

Bochum. Häuser und Straßen zerfließen, vom Himmel regnen Bäume herab. Natur und Zivilisation werden in einen Strudel hineingerissen. 1919 malte Chaim Soutine diese in völliger Auflösung begriffene „Landschaft bei Gagnes“. Das Bild ist wie ein erster Grundakkord zur Ausstellung in der renommierten Bochumer „Galerie m“: „Gefährdetes Gleichgewicht“.

Galerist Alexander von Berswordt-Wallrabe (54) spürt in hochkarätigen Werken aus eigenen Beständen und einigen Leihgaben einem allgemeinen Muster in der Kunst dieses Jahrhunderts nach: Der Ausstellungstitel meint verlorene Balance und Verunsicherung auf allen Ebenen, in vielfältigen Formen und vor allem: Verformungen.

Erlesen schon der Auftakt: Chaim Soutine und Lovis Corinth leiten gegenständlich zum Thema hin. Auch Edvard Munch („Zwei Menschen“) gehört noch in diese Abteilung. Er malte eine Szene abgrundtiefer … Weiterlesen

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Die reine Gegenwart genießen – „Ein kurzes Buch über die Liebe“ von Jochen Schimmang

Von Bernd Berke

Der Erzähler geht so gern durch Kölns urige Quartiere. Dermaßen ans Herz gewachsen ist ihm sein „Veedel“, daß er sogar „Touristen aus anderen Teilen der Stadt“ mißtrauisch beäugt. Manchmal sucht er Kinos und noch öfter Kneipen auf. Und da er langsam in die Jahre kommt, schaut immer sehnsüchtiger den jungen Frauen nach.

„Ein kurzes Buch über die Liebe“, immerhin 45 Kapitel und 316 Seiten lang, hat der Kölner Autor Jochen Schimmang geschrieben. Hauptperson ist ein nicht sehr erfolgreicher Schriftsteller. Der belauscht anfangs im Straßenlokal ein junges Paar, dessen Liebe zu erkalten beginnt. So darf es eben nicht kommen, sagt er sich.

Die Probe aufs eigene Exempel bleibt ihm nicht erspart: Denn bald begegnet dieser Literat der jungen … Weiterlesen

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„Verunglückte Spaziergänge“ und mehr von der Video-Künstlerin Katharina Wibmer im Marler „Glaskasten“

Von Bernd Berke

Marl. Betritt man die Ausstellungsräume im Untergeschoß des Marler Skulpturenmuseums „Glaskasten“, so findet man nahezu völlig leere Flächen vor. Auf der Fensterbank steht ein im Baumarkt gekaufter Gartenzwerg in bunter Reihe mit Hase, Frosch und Huhn – Kitsch aus Keramik. Ansonsten stapeln sich hie und da ein paar Videorecorder und Bildschirme. Öde und langweilig? Abwarten.

Denn wenn die Bildschirme erst einmal zu flimmern beginnen, kommt gespenstisches Leben in die Räume: Katharina Wibmer (31) aus Gräfelfing stellt hier aus. Im Vorjahr hat sie den 7. Marler Video-Kunstpreis bekommen, und es ist gute Tradition, daß der (ansonsten undotierten) Auszeichnung eine Würdigung im ZDF-Kulturmagazin „Aspekte“ und eine Einzel-Präsentation im „Glaskasten“ folgen.

Im aus Ziegeln gemauerten Halbrund befinden sich fünf TV-Geräte, … Weiterlesen

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Der Abschied vom alten Plunder – „Wien um 1900″ im Wuppertaler Museum

Von Bernd Berke

Wuppertal. Auf kostbare Art wird man in dieser Ausstellung empfangen. Geht man die Treppe hinauf, schaut man schräg von unten auf ein Damenbildnis: In sattem Purpurrot leuchtet Hans Makarts Porträt der Dora Fournier-Gabillon. Ihr Kleid sieht sündhaft teuer aus. Wenn man genauer hinschaut, entdeckt man aber Risse im Gemälde. Der Künstler selbst hat wütend darauf eingedroschen, als ihn die Dargestellte nicht heiraten mochte.

Wie sich die Kunst. in „Wien um 1900″ (Ausstellungstitel) von solch opulenten Salonbildern zum ornamentalen Jugendstil und schließlich zum Expressionismus entwickelte, das kann man nun im Wuppertaler Von der Heydt-Museum studieren, in einer klug konzentrierten Schau mit Porträts und Interieurs, ergänzt durch kunstvoll gestaltete Möbelstücke und Gebrauchsgegenstände jener Epoche.

Einmal mehr kann Wuppertal (in … Weiterlesen

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Sabbel, Babbel, Schnüß und Goschen – Nützlich und vergnüglich zugleich: Das neue „Wörterbuch deutscher Dialekte“

Von Bernd Berke

Deutschlands geographische Fläche ist vergleichsweise klein. Da sollten eigentlich alle Mitglieder der Sprachgemeinschaft einander leicht verstehen. Sollte man theoretisch meinen. Doch wir alle wissen, daß es ganz anders sein kann. Wenn ein Bayer oder Ostfriese so richtig in ihrem Dialekt loslegen, verstehen andere Landsleute fast nichts mehr. Ein wenig Abhilfe schafft vielleicht das neue „Wörterbuch deutscher Dialekte“.

Am interessantesten ist wohl der mittlere Teil des Buches. Hier findet man das, was die Fachleute eine Synopse nennen. Auf deutsch: eine direkte tabellarische Gegenüberstellung der Ausdrücke aus zehn deutschen Hauptdialekten (wobei das Westfälische dem Westniederdeutschen zugeschlagen wird). Insgesamt 292 hochdeutsche Stichwörter und ihre jeweiligen Dialekt-Ausformungen werden erfaßt.

Man glaubt es kaum, welche herrliche Vielfalt entsteht, wenn all diese Mundarten … Weiterlesen

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Schöne Sauferei des Nebels – Ein Buch gegen den Zeitgeist: Über den Zusammenhang von Tabak und Kultur

Von Bernd Berke

Wo findet man das sonst noch? Ein Buch, das sich eindeutig f ü r den Rauchgenuß erwärmt und dazu solche Sätze ins Feld führt: „Ich behandle das Leben als etwas Unangenehmes, über das man durch Rauchen hinwegkommen kann.“ Dies gestand einst der Dichter Robert Musil.

Ähnlich denken und fühlen die meisten Menschen, die in dem Buch vorkommen: „Auf leichten Flügeln ins Land der Phantasie – Tabak und Kultur“ heißt das Werk wider den Zeitgeist. Mit Freude an der Sache und anekdotischer Würze beschreibt der Autor Detlef Bluhm zunächst, wie Christoph Columbus das Kraut bei den Indianern vorfand und nach Europa brachte. Passendes Zitat vom Edel-Feuilletonisten Victor Auburtin: „Die Indianer haben das Tabakrauchen erfunden, welches die größte aller … Weiterlesen

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Wie der Mensch entschwindet – Die Leidens-Bilder des Tom Wood in Schloß Cappenberg

Von Bernd Berke

Selm-Cappenberg. Man fühlt sich seltsam verunsichert, wenn man die Bilder des Briten Tom Wood betrachtet. Genau das ist beabsichtigt.

Wood (Jahrgang 1955) spürt dem universellen Schmerz nach, der aus der fragilen Identität des Menschen herrührt. So jedenfalls beschreibt er selbst seinen künstlerischen Antrieb.

Eine der großformatigen Arbeiten, die jetzt als Deutschland-Premiere im Cappenberger Schloß gezeigt werden, ist in Los Angeles entstanden, und zwar kurz vor dem letzten größeren kalifornischen Erdbeben. Als Wood wieder daheim in Halifax (West Yorkshire / England) war und die schlimmen Nachrichten aus den USA vernahm, überarbeitete er das Bild. Ein einsamer Mensch wird jetzt geradezu von blauen Farbwogen überflutet; Sinnbild einer allzeit brüchigen, jederzeit bedrohten Existenz. „Corpus“ heißt die Ausstellung, und man denkt … Weiterlesen

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Warnung vor der „gelben Gefahr“ – Roman zur Übernahme Hongkongs durch China: „Kowloon Tong“ von Paul Theroux

Von Bernd Berke

Ab heute gehört die brodelnde Finanzmetropole Hongkong zur kommunistischen Volksrepublik China. Das historische Ereignis zwischen Bangen und Hoffen erschöpft sich nicht nur in Tagesnachrichten. Auch der Roman zum „Chinese takeaway“ liegt auf deutsch vor: „Kowloon Tong“ von Paul Theroux.

Theroux ist nicht irgendwer. Sein Buch „Mosquito Coast“ wurde 1986 von Peter Weir erfolgreich verfilmt, die Hauptrolle spielte Harrison Ford. Der Amerikaner Theroux, immer für einen Bestseller gut, zählt zu den großen Fernreisenden unter den Schriftstellern – ähnlich wie Cees Nooteboom oder der so früh verstorbene Bruce Chatwin. Auch in Hongkong kennt der weitläufige Mann sich bestens aus. Und so läßt er denn auch immer wieder Detailwissen über örtliche Gepflogenheiten einfließen, vorzugsweise über den Umgang mit Sex, Essen … Weiterlesen

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